0

Du willst
nur das
Wesentliche?

KEIN PROBLEM.

 

Jasmin, Du bist Klima und Energie Campaignerin bei Greenpeace Österreich. Wie kann man sich deinen Arbeitsalltag vorstellen?

Ich bin für die Klimakampagnen verantwortlich. Eine Kampagne zielt immer auf eine Veränderung in der Welt ab, sei es die Etablierung eines Umweltschutz-Gesetzes, oder den Stopp von klimaschädlichen Praktiken durch ein Unternehmen Das heißt, wir planen bei Greenpeace Kampagnen, setzen uns Ziele und überlegen, wie wir diese erreichen können.

Dann ist ein Teil meiner Arbeit meine Rolle als Klimaexpertin; sprich, zum aktuellen Klimageschehen politische Positionen zu entwickeln, die in der Medienöffentlichkeit vertreten werden. Dazu gehören auch Gespräche, wie dieses. Dann Advocacy-Arbeit auf politischer Ebene, mit den Verantwortlichen in Unternehmen reden und unsere Forderungen anbringen. Im Großen und Ganzen, für eine bessere und klimaneutrale Welt zu kämpfen.

Greenpeace zählt zu den bedeutendsten Umweltschutzorganisationen. Welche Projekte fallen Dir spontan ein, wie Greenpeace die Umweltsituation in Österreich nachhaltig verbessert hat?

Man muss dazu sagen, die meisten Veränderungen passieren nicht bloß durch eine Kampagne, sondern durch das Bestreben von ganz vielen Menschen und Organisationen. Wir sind als Umwelt-NGO darauf angewiesen, dass uns die Menschen unterstützen. Nicht nur finanziell, sondern auch mit ihrer Stimme, damit wir zusammen Druck auf Entscheidungsträger*innen aufbauen können.

Ganz konkret habe ich ein gutes Beispiel, nämlich im Plastikbereich, wo in Kooperation mit Berglandmilch die Mehrwegflasche zurück nach Österreich gebracht wurde. Wir kämpfen hier noch weiter, damit ein verpflichtendes Gesetz für eine Mehrwegquote kommt. Das ist ein erster wichtiger Schritt um die Plastikflut zu stoppen.  Außerdem haben wir letztes Jahr eine Klimaklage am Verfassungsgerichtshof eingereicht. Die ist zwar gescheitert, aber es hat doch zu einer breiten Bewegung in Österreich geführt. Circa 8.000 Leute haben mit uns geklagt.

Bevor ich bei Greenpeace gearbeitet habe, war es mir nicht bewusst, dass auf täglicher Basis Gesetze nicht eingehalten werden. Sei es zum Beispiel, dass wir seit Jänner in Österreich kein Klimaschutzgesetz mehr haben, weil es mit Ende des letzten Jahres ausgelaufen ist und das neue Gesetz noch auf sich warten lässt. Bereits das letzte Klimaschutzgesetz war lückenhaft und die Treibhausgas-Höchstmengen wurden erschreckend oft überschritten. Hier gibt es jedoch oftmals einfach keine Rechtsmittel und Rechtsschutz, sodass NGOs wie Greenpeace nicht konsequent – auch mit rechtlichen Hilfsmitteln – die Umsetzung verlangen können.

Damit stellt sich natürlich auch die Frage, wie man NGOs besser im Regierungs- und Gesetzbildungsprozess einbinden kann?

Es gibt viele offizielle Stakeholder-Prozesse, für die wir angefragt werden und an denen wir teilweise teilnehmen. Manchmal ist das Ganze jedoch einfach nur eine Show. Es wird zwar die Meinung von Stakeholder eingeholt, aber im Endergebnis ist das Feedback kaum berücksichtigt. So verkommt der Stakeholder-Prozess oft zu einer Besänftigungsstrategie.

Wenn wir unsere Positionen als Umwelt-NGO vorbringen und mit den Parteien in Dialog treten, ist für uns immer wichtig, auch Aufklärungsarbeit zu betreiben. In meinem Fall als Klimasprecherin kann ich sagen, dass nicht immer allen klar ist, welche Maßnahmen möglich und notwendig sind um das Klima angemessen zu schützen Zudem bestätigt sich immer wieder: Wenn der Druck nicht aufrechterhalten wird, geht einfach nichts weiter.

Wir können unseren Gletschern beinahe beim Schmelzen zusehen, erlebten Ende Februar untypisch hohe Temperaturen um die 20 Grad und Schneefall und Schneemengen im Winter werden immer unberechenbarer. Ohne bereits zu sehr ins Detail zu gehen, ist angesichts dessen nachhaltiger Skitourismus überhaupt möglich?

Das ist natürlich die Gretchenfrage. Nachhaltiger Skitourismus kann schon stattfinden, der jetzige Skitourismus ist aber ein Spiegelbild unserer Art und Weise zu wirtschaften; immer mehr Wachstum, immer größer, immer weiter und komfortabler. Nachhaltiger Skitourismus muss vielmehr auch zu nachhaltigem Wintertourismus werden und auch andere Sportarten und Erlebnisse inkludieren, die weniger Energie- oder Ressourcenintensiv als der Skisport sind.

In Tirol sollen zwei Skigebiete zu einem verschmelzen. SkifahrerInnen soll es in Zukunft möglich sein, ohne großen Aufwand Ötztal und Pitztal zu befahren. Arbeitsplätze, wirtschaftliche Stabilität und Schneesicherheit stehen auf der einen Seite, Eingriffe in die hochalpine Landschaft auf der anderen Seite. Das Projekt liegt derzeit zwar auf Eis, aber wir wissen ja, wie leicht dieses schmelzen kann. Wo siehst Du die Zukunft des Projekts und ist mit weiteren Gletscherehen zu rechnen?

Ich finde dieses Projekt beispielhaft, da man gerade jetzt in der Coronakrise merkt, es geht nicht immer aufwärts, sondern gibt auch einen Stillstand. Das Problem liegt schon am Skitourismus, der einen beispiellosen Wachstumspfad in den letzten 30 bis 50 Jahren hingelegt hat. Jedes Jahr neue Nächtigungsrekorde, mehr Pistenkilometer, mehr Beschneiung.

Gerade die Coronakrise hat aufgezeigt, dass es auch anders gehen kann. Es ist nicht die Norm, dass es unendliches Wachstum gibt. Der Alpenraum ist schon extrem bewirtschaftet, sei es durch Skigebiete oder Landwirtschaft. Wir sind hier absolut am Limit. Auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive heraus, werden sich solche Projekte in Zukunft nicht mehr rechnen. Natürlich gibt es Möglichkeiten, Skigebiete instand zu halten, aber sie immer weiter auszubauen und die letzten Naturreste zu zerstören, muss ein Ende nehmen.

Passend dazu würden wir gerne noch kurz auf die Folgen der Gletscherschmelze eingehen. Womit müssen wir hier rechnen?

Es gibt unterschiedliche Folgen. Aus einer menschenzentrierten Perspektive heraus kann man sagen, Gletscher sind ein Kulturgut. Viele sind damit groß geworden, verbinden damit ihre Identität und Heimat. Hier schmilzt auch ein Stück an Leben weg. Im Winter kommt der Niederschlag als Schnee zu Boden, wird im Gletscher gespeichert und wird über den Sommer Stück für Stück freigegeben. Das wird für die Energieerzeugung benötigt, aber genauso für die Biodiversität in diesen Gebieten. Gewisse Pflanzen- und Tierarten haben sich auf diese Gebiete, auf diese Nische, spezialisiert. Fällt das weg, fehlt ihnen der Lebensraum.

Stellen sich hier auch existenzielle Fragen, etwa hinsichtlich der Trinkwasserversorgung?

Natürlich greifen wir Menschen schon viel zu sehr ins Wasserregime ein. Alleine, wie viel etwa für Wasserkraftwerke verbaut wurde, die zwar per se zu befürworten sind, die man in dieser Form heutzutage aber nicht mehr bauen würde. Das ginge mit einer zu großen Naturraumzerstörung einher.

Für den Kunstschnee beispielsweise wird extrem viel Wasser in Speicherseen abgeleitet. Wenn der Kunstschnee schmilzt, fließt dieser aber nicht ab wie normale Gebirgsbäche, sondern verdunstet oder bleibt länger liegen. Für die Trinkwasserversorgung direkt gibt es aber keine bedrohlichen Szenarien für Österreich. Aber man muss sich generell fragen, welche Auswirkungen all das auf die Biodiversität und die Ökosysteme in diesen Gebieten haben wird.

Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte Snowfarming. Der Schweizer Skiort Davos hat vor einigen Jahren bereits vorgezeigt, wie es geht – medial bekanntestes Beispiel ist wahrscheinlich der Schneestreifen auf der Resterhöhe in den Kitzbüheler Alpen, den man schon Ende Oktober befahren kann. Kannst Du kurz erläutern, was man unter Snowfarming versteht?

Darunter versteht man sozusagen das „Züchten von Schnee“. Es ist so, dass der Schnee, der nach der Saison übrigbleibt, mit Plastikplanen oder Holzschnitzel abgedeckt wird. Über den Sommer hinweg wird der Schnee so gespeichert. Natürlich schmilzt eine gewisse Menge, aber der Großteil bleibt erhalten. Im Herbst kann man dann diesen Schnee wieder mit Pistengeräten auftragen. Das klingt anfangs relativ unproblematisch, aber damit spekuliert man darauf, Saisonen künstlich auszuweiten und produziert vermehrt Kunstschnee, weil man diesen gleich fürs nächste Jahr bunkern will. Sind nämlich die Temperaturen im Dezember zu warm zur Beschneiung (man braucht um die -10 Grad um Kunstschnee zu erzeugen) kann man auf das Kunstschnee-Depot zurückgreifen. Dieser Kunstschnee, der hier zum Einsatz kommt, ist natürlich auch nicht mit Naturschnee vergleichbar. Er ist sehr viel härter, friert viel mehr zu und bleibt auch länger liegen. Das macht ihn für die Natur sehr problematisch, denn die Schneedecke bleibt länger und das natürliche Pflanzenwachstum wird gestört.

Je kürzer eine Skisaison dauert, desto unrentabler ist sie. Je mehr man aber versucht sie künstlich zu verlängern, desto umweltbelastender agiert man. Gibt es hier einen Kompromiss oder eine ideale Dauer der Saison, vielleicht auch eine Empfehlung an Skigebiete?

Natürlich soll man die Skisaison nicht künstlich hinauszögern. Auch auf den Gletscherskigebieten braucht es Ruhezeiten und keine 365 Tage Skibetrieb. Ich kann mir schon vorstellen, ein Gletscherskigebiet im Oktober aufzusperren, aber ob man im August schon Skifahren gehen muss? Die Gletscherskigebiete sehen ja zu dieser Zeit auch katastrophal aus, sind teilweise schwarz von den Emissionen und der Luftverschmutzung, werden mit Plastikplanen abgedeckt und dazwischen schaut das Geröll heraus.

Man muss sich nur einen Gletscher im Sommer ansehen, um einen Eindruck davon bekommt, wie viel Raubbau an der Natur betrieben wird. Man sollte auch von Marketingversprechungen wie „Schneegarantie ab Mitte November“ absehen. Das führt zu Absurditäten.

Wir würden nun gerne ein kleines Gedankenexperiment mit Dir machen. Wie könnte Skitourismus im Jahr 2030 in einer idealen Welt aussehen?

Zwei Drittel der Treibhausgasemissionen des Skitourismus kommen aus dem Verkehr. Warum? Weil Menschen mit dem Auto durch halb Europa fahren, um skifahren zu können. Oder eben auch, weil in der Früh das ganze Dorf zum Skigebietsparkplatz und am Abend wieder zurückmuss. Hier gibt es ein hohes Einsparungspotential.

Man gibt im Alpenraum Milliarden für den Ausbau von Autobahnen aus. Wo eine Autobahn, da auch mehr Verkehr. Das heißt, in zehn Jahren muss aus einer Klima- und Umweltperspektive, viel mehr auf öffentliche Verkehrsmittel gesetzt werden. Ein guter Ansatz dazu ist Kombipakete aus Bahn und Skiurlaub zu bewerben. In einem Reisebüro aber wird mit 99%iger Wahrscheinlichkeit ein Flug mit Mietauto zum Skigebiet angeboten, sehr selten nur eine Kombi mit Bahn. Hier muss es vermehrt Angebote geben.

Zusätzlich muss klimaschädliches Verhalten selbst bestraft werden. In Österreich ist es so, dass klimaschädliche Verkehrsformen sogar noch subventioniert werden, z.B mit der Kerosinsteuerbefreiung. Wenn der Skiparkplatz aber zehn Euro kostet, man jedoch einen gratis Ski-Bus hätte, überlegt man es sich zweimal, ob man das Auto verwendet. Oder zumindest, ob man nicht gemeinsam mit der Nachbarin im Auto fährt und nicht jeder alleine in seinem SUV. Man wird nicht darum herumkommen, nicht nur Anreizsysteme zu setzen, sondern auch klimaschädliches Verhalten – in diesem Fall im Verkehr – teuer zu bepreisen.

Wir brauchen eine Abkehr vom Massenskitourismus hin zu anderen, weniger invasiven Formen. Man kann ja auch im Winterurlaub Rodeln, Schneeschuhwandern oder anderes unternehmen.

Niedriggelegene Skigebiete sind natürlich gerade jene, auf denen meistens Kinder Skifahren lernen. Wenn man davon ausgeht, dass Skifahren wie das Schnitzel zu Österreich gehört und dem einen hohen Stellenwert gibt, wo würden Kinder stattdessen Skifahren lernen?

Niemand hat etwas dagegen, dass man einen Hang im Tal beschneit, auf dem die Kinder Skifahren lernen können. Die Frage ist vielmehr – müssen die bereits riesigen Skigebiete weiter ausgebaut werden? Muss eine Talabfahrt gebaut werden, die mit zunehmenden Temperaturen immer mehr Kunstschnee braucht? Die mit einer Fluchtlichtanlage in der Nacht beleuchtet wird – nicht zum Nachtskifahren, sondern damit das ganze Tal sieht, dass das Skigebiet eine Talabfahrt hat? Das sind Absurditäten, die der Skitourismus hervorbringt.

Soll es 2030 noch Förderungen für Skigebiete geben und wenn ja, wie sollen diese gestaltet werden?

Definitiv nicht für niedriggelegenere Skigebiete. Wenn es Förderungen geben sollte, dann müssen sie an Naturverträglichkeitskriterien geknüpft werden. Es muss berechnet werden, welche Skigebiete 2030 noch rentabel sein werden. Heute Skigebiete zu bauen oder auszubauen, bei denen man weiß, dass sie ohne massive Subventionen nicht auskommen werden– das sind stranded assets. Das kennt man sonst meist nur von fossilen Energieträgern.

Gibt es Beispiele für nachhaltigen Skitourismus hier in Österreich?

Ein inspirierendes Beispiel ist Serfaus. Dort wurde eine U-Bahn mit vier Stationen gebaut, womit der Verkehr aus dem Dorf verbannt wurde. Die Urlauber*innen vor Ort sind damit nicht mehr auf das Auto angewiesen, da sie mit der U-Bahn viel besser zum Ziel kommen. Das heißt aber nicht, dass jedes Dorf in Tirol eine U-Bahn bauen soll, sondern zeigt, dass es manchmal kreative Ideen und ein bisschen Mut braucht.

Gibt es auch zertifizierte Skigebiete, Beherbergungsbetriebe und dergleichen, an denen man sich orientieren kann?

Zertifizierungen dienen oft einfach als Gutes-Gewissen-Etikett. Es gibt viele Zertifizierungen und ich würde behaupten, die wenigsten, einschließlich mir, schauen sich die Kriterien genau an, die dahinterstehen. Durch das Siegel denkt wird der Konsument*in signalisiert, man könne ohne schlechtes Gewissen Skifahren gehen. Ein Negativ-Beispiel hierfür ist die angebliche CO2-Neutralität Ischgls. Jeder, der ein paar Sekunden darüber nachdenkt, dem wird einleuchten, dass ein Skigebiet mit so vielen Schneekanonen und Anlagen nicht gut für die Umwelt sein kann. CO2 gehört erst einmal so weit wie möglich vermieden, dann reduziert und erst am Ende kompensiert, in den Bereichen, wo es nicht mehr vermeidbar ist.

Wir haben bereits in einigen unserer letzten Gespräche die Erdgaspipeline Nord Stream 2 thematisiert. Aus nachhaltiger und umwelttechnischer Sicht: Welche Vor- und Nachteile gibt es bei diesem Projekt?

Als Umweltschutzorganisation finden wir keinen vernünftigen Grund dieses Projekt umzusetzen. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Mythos rund um fossiles Erdgas aufgebaut. Da es weniger Emissionen als Kohle & Öl verursacht, wird es als klimafreundlich verkauft. Tatsächlich ist es auch so, dass Gas weniger Treibhausgasemissionen verursacht und deswegen wird argumentiert, man brauche fossiles Gas als Brückentechnologie. Quasi, bis alles erneuerbar ist.

De facto läuft uns aber einfach die Zeit weg. Wir haben realistischerweise 20 bis 30 Jahre – Österreich setzt sich zum Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein. Es gibt keinen Platz mehr für fossile Energien. Wenn man heute eine Gaspipeline baut, wird sich die nie und nimmer bis 2040 rentieren. Die müsste 30, 40, 50 Jahre in Betrieb sein, damit es zu keinem stranded investment wird.

Wenn die EU bis 2050 klimaneutral sein will, kann sie nicht solche riesigen Investitionen in die Gas-Infrastruktur tätigen. Das schafft Abhängigkeiten. Wenn das Pipeline einmal steht, muss es sich auch rentieren. Die fossile Lobby wird dahinter sein, dass fossiles Gas auch noch über Jahrzehnte fließt.

Gas ist aus zweierlei Sicht problematisch. Fossiles Gas hat immer noch einen sehr hohen CO2-Abdruck, und es besteht großteils aus Methan. Methan ist ein viel potenteres, stärkeres Treibhausgas als CO2 – circa 28-mal auf 100 Jahre gesehen, und mehr als 70-mal stärker auf die nächsten 20 Jahre bezogen. Gerade im Upstream-Bereich – also dort, wo fossiles Gas gefördert wird, meistens in Russland – tritt extrem viel fossiles Gas direkt in die Atmosphäre. Weil schlampig gearbeitet wird, weil sich bessere Sicherheitsvorkehrungen nicht ökonomisch rentieren.

Selbst, wenn man Sicherheitsvorkehrungen trifft: Methan ist unsichtbar und meist geruchlos; es tritt unbemerkt aus und beeinflusst die Klimakrise enorm. Fossiles Gas ist keinesfalls zukunftsträchtig. Damit hat sich die Frage rund um Nord Stream 2 erledigt.

Wenn man andere Seiten befragt, bekommt man diesbezüglich eine andere Antwort. Im Gespräch mit dem russischen Botschafter Ljubinskij haben wir erfahren, dass das Projekt unter allen Umständen fertiggestellt wird. Wie ist der momentane Baustatus und lässt sich das Projekt noch stoppen?

Jedes Projekt lässt sich zu jedem Zeitpunkt stoppen. Wenn wir als Österreicherinnen und Österreicher etwas aus dem Projekt AKW Zwentendorf gelernt haben, dann wissen wir, es ist nie zu spät. In Zwentendorf war alles fix und fertig, es gibt ausgebildetes Personal, sogar die Brennstäbe waren schon bereit. Es fehlte nur noch ein Knopfdruck.

Die Anti-Atom-Bewegung war damals so stark, dass es zur Volksabstimmung kam, die sich dagegen aussprach. Das kann auch bei Nord Stream 2 passieren. Im Moment ist das Projekt aus politischen Zerwürfnissen heraus gestoppt; aus ökologischer Perspektive gibt es aber ein ganz klares Nein. Viele Umweltschutzorganisationen kämpfen hart um die Fertigstellung zu verhindern. In Österreich gilt es natürlich die OMV in Bezug auf Nordstream 2 in die Verantwortung zu nehmen. Die OMV ist eines der hauptbeteiligten Unternehmen an dem Projekt. Das ist klar zu verurteilen.

Ist mittlerweile ein Umdenken in der Bevölkerung bemerkbar, wenn Du über Klima- und Umweltschutz sprichst? Was hat Dich seit Deinem Berufseinstieg am meisten verändert?

Ja, ich denke schon. In Österreich sehe ich den Anteil derer, die die Klimakrise leugnen, sehr gering. Alleine schon, weil es heute schon am eigenen Körper spürbar ist, etwa im viel zu warmen Februar.

Greta und FridaysforFuture gaben der Klimabewegung großen Aufwind. Viele junge Menschen waren und sind nach wie vor auf der Straße um für ihre Anliegen eingetreten. Es ist unglaublich, was so eine Bewegung auslösen kann. Gibt es eine Bewegung, berichten die Medien darüber. Und wenn Medien darüber berichten, ändert sich oft die Einstellung der Bevölkerung. Die Herausforderung für die nächsten Jahre liegt darin, dass zwar alle Ja zum Klimaschutz sagen, aber wenn es um Lösungen geht, gibt es viel Konfliktpotential und viele unterschiedliche Meinungen, wie wir das Problem in den Griff bekommen. Hier werden die großen Konflikte der nächsten Jahre liegen.

Nachdem wir gerade viel an Optimismus gehört haben, ist diese Frage etwas pessimistischer. Es ist davon auszugehen, dass es schwierig wird, im Energiesektor mit erneuerbaren Energien alleine die Pariser Klimaziele rechtzeitig zu erreichen. Einige Seiten argumentieren hier, es brauche Brückentechnologien. Vorhin hast Du bereits gesagt, Gas sei keine Brückentechnologie. Greenpeace ist aus einer Anti-Atom-Bewegung entstanden, doch wie steht man mittlerweile zu Atomenergie? Insbesondere, wie stehst Du zur Atomenergie?

Greenpeace ist nach wie vor eine Anti-Atom-Bewegung. Das spürt man in Österreich weniger, weil wir hier den Kampf – zumindest vorerst – gewonnen haben. Vor ein paar Jahren haben wir  gemeinsam mit Global 2000 und dem WWF ein Energieszenario für Österreich berechnet, um zu zeigen wie man bis – damals war es noch 2050 – klimaneutral werden kann. Natürlich lässt sich der jetzige hohe Energiebedarf nicht zu 100% mit erneuerbaren Energien decken. Das heißt, der erste Schritt muss immer darin liegen, den Energieverbrauch zu senken. Wenn wir den Energieverbrauch senken, können wir gleichzeitig den erneuerbaren Anteil steigern, ohne dass wir einen sehr intensiven Ausbau benötigen. Das Regierungsprogramm von Türkis-Grün sieht eine Erhöhung der Photovoltaik-Leistung von einer TWh auf elf TWh bis 2040 vor. Das ist die zehnfache Menge und damit ist sehr viel zu tun.

Aber um auf die Frage nach Atomkraftwerken zurückzukommen; Atomkraft ist keine Lösung für die Klimafrage, denn die Probleme bleiben die gleichen. Es gibt nach wie vor keine Lösung für den Atommüll. Außerdem wissen wir nicht, wie die nächsten Generationen damit umgehen werden.  Dazu haben Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima gezeigt, dass Atomkraft nie zu 100% sicher sein kann. Also nein zur Atomkraft.

Österreich tut sich vergleichsweise leicht damit zu argumentieren, dass CO2-Neutralität durch erneuerbare Energien möglich ist. Es gibt aber Modelle, die zeigen, dass sich der globale Energiebedarf auf das Vierfache erhöhen müsste, damit die gesamte Weltbevölkerung über dem Existenzminimum und damit mit einem halbwegs angemessenen Lebensstandard leben kann. Ist dieser Bedarf mit erneuerbaren Energien alleine zu bewältigen?

Man muss darauf zählen, dass andere Länder nicht die gleichen Fehler wie wir in Europa machen. Wir haben in Europa angefangen, mit den sehr billigen, energieintensiven und klimaschädlichen Rohstoffen wie Öl und Kohle unsere Wirtschaft aufzubauen.

In anderen Ländern sind diese Investitionen in fossile Energien noch nicht passiert. Statt ein Kohlekraftwerk zu bauen, muss dort direkt auf erneuerbare Energien gesetzt werden. Aber natürlich ist auch hier wieder das Wachstumsparadigma zu hinterfragen. Wenn alle einen exzessiven Luxuslebensstil wollen, so wie es in Europa der Standard ist, wird sich das nicht ausgehen. Es braucht überall eine Rückbesinnung darauf, was notwendig ist. Auch, damit andere Menschen die Möglichkeit haben, noch weiter zu wachsen und ihren Lebensstandard zu erhöhen.

Es gibt Initiativen um die globale Ungleichheit in Bezug auf die Klimakrise auszugleichen, insbesondere den Green Climate Fund. Beim ersten Klimaabkommen – dem Kyoto-Protokoll – wurden nur Industriestaaten in die Pflicht genommen, da jene auch die Hauptverursacher der Treibhausgasemissionen sind, aber auch damit wenig entwickelte Staaten “ungedämpft” weiterwachsen können. Mit dem Pariser Klimaabkommen hat man erstmals fast alle Staaten der Welt verpflichtet. Industriestaaten wie die USA oder die EU haben natürlich einen Vorsprung, deshalb müssen diese in die Finanzierung – also in den Green Climate Fund – einzahlen, damit in anderen Ländern grüne Finanzierungsschübe möglich sind. Die Ausgleichsbestrebungen müssen aber weiterhin erhöht werden und auch Österreich ist hier in der Verpflichtung, wenngleich man unserem Land zu Gute halten muss, dass die Mittel gegenüber der letzten Regierungsperiode um ein Vielfaches aufgestockt wurden.

Du hast vorhin gesagt, Nein zu Atomenergie. Ist das auch ein Nein zur Forschung, insbesondere hinsichtlich Kernfusion?

Gegen Forschung an Kernenergie ist nichts einzuwenden. Es ist jedoch dann problematisch, wenn solche Technologielösungen vorgeschoben werden, um das jetzige System aufrechtzuerhalten. Oft wird verkauft, dass wir eh nicht auf Öl, Kohle oder Gas verzichten müssen, denn man kann in der Zukunft einfach auf CCS zurückgreifen (Carbon Capture and Storage) – damit ist gemeint, das überschüssige CO2 in die Erde, beispielsweise in alte Gasspeicher, zu pumpen und zu “verwahren”. Eine klassische End-of-Pipe-Lösung. Dabei ist die Gefahr, dass man sich nicht mit dem Problem selbst auseinandersetzt, sondern auf eine Technologie hofft, die uns schon irgendwie retten wird.

Auch bei der Kernfusion gibt es Forschungsprojekte, aber die sind so sehr in den Kinderschuhen, dass es vor 2040 oder 2050 keine breiten Lösungen geben wird. 2040 müssten wir aber schon klimaneutral sein, also keine Treibhausgasemissionen ausstoßen. Zu hoffen, dass uns eine unerprobte Technologie retten wird, die heute nicht einmal unter Laborbedingungen vernünftige Mengen an Energie produziert, ist problematisch. Aber in die Forschung zu investieren ist dennoch wichtig.

Zurück zum Optimismus. Auf der Website von Greenpeace liest man, Greta und US-Präsident Joe Biden würden wieder Hoffnung geben. Spürst Du diese Hoffnung in Deinem Berufsleben und bei den Menschen rund um Dich?

Ja, das spürt man. Es gibt viele Menschen, denen das viel Auftrieb gibt. Ich sage immer, ein Streik ist nicht nur da, um ein politisches Zeichen zu setzen, sondern es macht auch etwas mit einem selber. Man merkt, man ist nicht alleine und es gibt viele Menschen, die für eine bessere Zukunft eintreten.  Niemand ist gerne alleine der einzige Buhmann – schon gar nicht, wenn man gegen riesige fossile Lobbys antritt, die mit allen Geldern und Wassern gewaschen sind. Wir sind viele, wir sind laut und wir geben nicht auf bis die Weichen für eine grüne Zukunft gestellt sind.

Wir bedanken uns bei Jasmin Duregger für das Gespräch.

Lea Maria Wurzinger
Die derzeitige PPÖ Studentin übernimmt im Rahmen des Projektes mit frischen Ideen an den inhaltlichen Schwerpunkten. In erster Linie ist sie jedoch für die Recherche & Verfassung von neuen Textproduktionen im Team zuständig.

    Kommentare

    Antworten

    Dir könnte auch gefallen