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Herr Botschafter, Sie sind seit August 2015 Botschafter der Russischen Föderation in der Republik Österreich, allerdings ist dies nicht Ihre erste diplomatische Station in Wien. Von 2005-2008 waren Sie hier als Gesandter Ihrer Botschaft. Wie haben Sie sich in Österreich eingelebt und was hat sich seit Ihrem ersten Aufenthalt verändert?

Sie haben vollkommen recht. Ich habe dienstlich schon viele Jahre in Österreich, und davor in Deutschland verbracht. Beide Dienstaufenthalte waren unterschiedlich für mich. Als Gesandter musste ich zuerst einige Zeit mit der Familie hier in Wien verbringen, um sich einzuleben und Kontakte zu knüpfen. Wie ich zum zweiten Mal nach Österreich gekommen bin, war dies in vielen Hinsichten einfacher. Die Pause zwischen den Aufenthalten war ziemlich lange und betrug sieben Jahre, aber meine Kontakte konnte ich in dieser Zeit aufrechterhalten. Ich war als Departments-Leiter im russischen Außenministerium in Moskau auch für die bilateralen Verbindungen zu Österreich zuständig. Die gestellten Ziele und Aufgaben, welche ich als Botschafter zu verfolgen plante, waren mit dieser Grundlage viel einfacher. Ich bin wirklich gerne zurück in Wien und schätze vor allem meine manchmal freundschaftlichen und guten Kontakte zu den österreichischen Politikern, zu Wirtschaftskreisen und zu den Kulturträgern. Aufgrund dessen fühle ich mich dienstlich als auch privat sehr wohl in Österreich und mache meine Aufgabe wirklich gerne.

Moskau und Wien verbindet eine mehr als 500 Jahre alte Geschichte. Auf der Website Ihrer Botschaft werden die Beziehungen als freundschaftlich und konstruktiv, einem pragmatischen Modus folgend und von gegenseitigem Respekt geprägt, bezeichnet. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, warum versteht man sich so gut?

Unsere Beziehungen haben wirklich eine lange Geschichte, die auch in unserer bilateralen Tagesordnung weiterhin eine Rolle spielt. Wir haben eine sehr produktive bilaterale Historikerkommission. Herr Professor Dr. Karner auf der österreichischen Seite ist bereits mehr als zehn Jahre Vorsitzender dieses Gremiums. Es ist ein Beispiel dafür, dass unsere Gespräche nicht immer ohne Probleme möglich sind, jedoch finden wir immer einen gemeinsamen Weg. Die Historikerkommission hat zum Beispiel vor einigen Jahren ein gemeinsames Lehrbuch für interessierte Schüler*innen und Studierende über die Geschichte unserer bilateralen Beziehungen verfasst.

Dieses Buch ist eine Antwort auf die vielen historischen Fragen. In einem Lehrbuch beide Positionen darzustellen, kann den jungen Leser*innen dabei helfen, unvoreingenommen, die bilaterale Verbindung beider Seiten verstehen zu lernen. Trotz aller Schwierigkeiten in unseren Beziehungen mit dem Westen, mit der EU und in Pandemiezeiten, bin ich mir sicher, dass wir auch diese überwinden werden. Die positive Entwicklung des Dialogs zwischen Moskau und Wien ist maßgebend. Also in unseren Bereichen bewegt sich etwas und das ist wirklich zufriedenstellend.

Wie haben sich Ihrer Ansicht nach die russisch-österreichischen Beziehungen seit dem EU-Beitritt Österreichs entwickelt?

Ich würde sagen, dass sich unsere bilateralen Beziehungen in den letzten 20 Jahren stark entwickelt haben. Das heißt, auch in der Zeitperiode seit dem EU-Beitritt entwickelte sich unsere Zusammenarbeit sehr stabil, nachhaltig und zukunftsorientiert. Als Beispiel: Es gab ein bilaterales Jahr der Musik und der kulturellen Routen und es gab ein sehr wichtiges und für Österreich sehr bedeutendes Jahr für Tourismus. Man verfolgt durch solche herrlichen Programme eine ganze Reihe von Entwicklungsprojekten. Tourismus und Kultur knüpfen sich dadurch noch stärker aneinander. Das letzte „Kreuzjahr“ war etwas ganz Besonderes für mich, das Jahr des Jugendaustausches 2019, weil das Wort Jugend ebenso in unseren Beziehungen zukunftsorientiert ist. Das Jahr 2020/21 war als Jahr des Theaters und der Literatur vorgesehen. Wegen der Pandemie konnten wir dies jedoch nicht vollkommen verwirklichen, deswegen haben wir es verschoben. Das Thema „Jugend“ wird sich auch hier weiterziehen, zum Beispiel in die „jugendliche Literatur“ und zum „Jugend-Theater“. Das ist wichtig, weil wir zeigen wollen, dass wir nicht nur einmalige Aktionen machen. Mit unseren Projekten leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Zukunft und für die Entwicklung unserer Beziehungen.

Blicken wir nun auf die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen. Russland ist einer der bedeutendsten Investoren in Österreich, einige hundert österreichische Unternehmen haben ständige Niederlassungen in Russland und das gegenseitige Handelsvolumen lag 2019 bei knapp 6.15 Mrd. US-Dollar. Was macht den Standort Russland derart attraktiv für österreichische Unternehmen, trotz sprachlicher und kultureller Hürden?

Wirtschaftliche Beziehungen sind wichtig für eine gute Grundlage. Die österreichische Wirtschaft beinhaltet viele bedeutsame Firmen, welche ebenso auf dem russischen Markt eine Rolle spielen. Das zeigt, dass die Investitionsbedingungen passen. Wir haben eine gute Unterstützung durch beide Regierungen und wir haben eine gemischte Wirtschaftskommission. Was ich interessant finde, ist, dass Russland flächenmäßig riesengroß ist, wir aber auch gerne die Entwicklung von kleineren Regionen in Russland sowie von einzelnen Bundesländern in Österreich fördern möchten. 2019 haben wir etwa gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich eine absolut tolle Aktion organisiert: den Tag der russischen Regionen. Wir haben eine Anfrage an mehrere dutzend Gouverneure gesendet, wobei wir von den Rückmeldungen fast überwältigt waren. 20 Regionen Russlands haben letzten Endes in Wien teilgenommen. Jede Region hat ihre spezifischen Interessen und ihre eigenen Prioritäten, aber jede findet in Österreich passende Geschäftspartner, Firmen, etc., die interessiert sind, entweder bestehende Kontakte und ihre Präsenz in Russland aufzubauen, oder neue Kontakte zu knüpfen. Mit der Wirtschaftskammer und dem Präsidenten Harald Mahrer besteht ein guter Kontakt und wir verfolgen gespannt die Entwicklungen. Es ist auch keinesfalls eine nur einmalige Aktion. Was sich daraus entwickelt, ist manchmal kompliziert, aber mit viel Geduld ist einiges möglich. Das Ganze bezieht sich nicht allein auf eine Branche. Österreichische Firmen kommen auch häufig mit Investitionen nach Russland. Der russische Markt gestaltet sich äußerst attraktiv und durch die Lokalisierung der Produktion in Russland sehen viele Investoren neue Möglichkeiten. Auch der Handelsweg durch Russland z.B. nach Asien spielt eine bedeutende Rolle.

Mit mehr als 80% der Importe aus Russland ist der Energiesektor der wichtigste in den Wirtschaftsbeziehungen. Österreich importiert in etwa viermal so viel Energie wie es exportiert und ist damit von Importen abhängig. Gleichzeitig finanziert sich der russische Staatshaushalt zu einem großen Teil durch Gasexporte an europäische Kunden. Sehen Sie diese wechselseitigen Abhängigkeiten als einen Vor- oder Nachteil für Russland bzw. Staaten wie Österreich?

Meine Antwort ist absolut eindeutig. Es ist eine höchst positive gegenseitige Abhängigkeit. Diese produktive Zusammenarbeit besteht bereits seit mehr als 50 Jahren. Die Energie und vor allem Gaslieferungen Russlands nach Österreich waren immer zuverlässig. Es gab auch problematische Zeiten, aber diese Lieferungen wurden nie unterbrochen. Die Zusammenarbeit zwischen OMV und Gazprom entwickelt sich im Prinzip sehr gut. Ebenso erreicht diese Beziehung mehr Tiefe und neue Substanz. Nord Stream 2 ist eines der bedeutendsten Stichworte in dieser Beziehung.

Genau auf dieses Stichwort würden wir etwas später gerne eingehen. Davor generell zur Struktur des Energiesektors in Russland: Es ist davon auszugehen, dass sich die Energiebranche in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren wandeln wird. Damit drohen Russland signifikante Einkommensverluste. Wie können diese Verluste kompensiert werden?

Die Antwort ist „grüne Energie“. Diese erfährt an immer größerer Bedeutung. Es ist aber auch absolut klar, dass auf lange Zeit gesehen Gaslieferungen nach Österreich eine sehr wichtige Rolle spielen werden, wie auch in Russland selber; und damit auch die Zusammenarbeit mit der OMV, Gazprom und anderen österreichischen und russischen Energiekonzernen. Solche Projekte werden in Zukunft eine noch größere Bedeutung bekommen.

Ein kontroverses Thema ist der Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2, welche Sie bereits erwähnt haben. Wie beurteilen Sie als Botschafter die aktuelle politische Situation, insbesondere rund um die US-Amerikanischen Sanktionen?

Dieses Thema gibt uns Stoff für ein Gespräch, welches mehrere Stunden dauern könnte. Nicht nur bei Nord Stream 2 – solche Sanktionen, mögliche Sanktionen oder Bedrohungen durch Sanktionen kann man nur als völkerrechtswidrig bezeichnen. Auf alles, was der USA missfällt, ist die erste Antwort immer Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen. Unsere europäischen Partner haben das in den letzten Jahren auch sehr wohl gespürt. Viele europäische Firmen und Regierungen betrachten das als ein sehr kompliziertes Kapitel in den europäisch-amerikanischen Beziehungen. Das wird es auch weiterhin bleiben. Was das Nord Stream 2 Projekt insgesamt betrifft: Es ist bereits mehr als zu 90% fertiggestellt. Es kann überhaupt keine Zweifel geben, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut wird.

Es kann überhaupt keine Zweifel geben, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut wird.

Was können Sie uns über eine mögliche Impfstoffbereitstellung und -produktion von Sputnik V in Österreich erzählen?

Erstens, in Russland gibt es bereits drei Impfstoffe, die registriert sind und angewendet werden. Es sind unterschiedliche Impfstoffe mit einem sehr hohen Zuverlässigkeitsgrad. Prinzipiell habe ich seit Sommer 2020 mehrmals darüber gesprochen; seit Sputnik V in Russland zugelassen wurde. Wenn wir die österreichische Presse aufmerksam verfolgen, dann ist es so, dass überall nachhaltig nur sehr kritisch über ihn berichtet wurde. Ich sagte schon damals, dass Russland keinesfalls bestrebt ist, jemanden diesen Impfstoff aufzuzwingen. Ein paar Monate sind verlaufen. Die Produktion von Impfstoffen in Russland steigt und die Zuverlässigkeit ist nachgewiesen. Was wir hier als die russische Botschaft in Österreich sehr stark zu spüren bekommen, ist ein riesiges Interesse für russische Impfungen, auch in wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kreisen. Wir haben bereits gute und konstruktive Kontakte zwischen den Gesundheitsministerien etabliert und dieses Thema wurde auf höchster Ebene besprochen. Im Gespräch zwischen Bundeskanzler Kurz und dem Präsidenten Putin wurde dies ebenso eingehend diskutiert. Es ging um die Möglichkeit der Lieferungen von Sputnik nach Österreich, wenn die erwartete Genehmigung der europäischen Arzneimittelagentur EMA erfolgt. Es geht aber auch um die Produktion von Sputnik in Österreich und die Kontakte zu diesem Thema laufen aktiv mit Pharmaproduzenten. Ich bin wirklich positiv eingestellt. Das zeigt auch wiederum unsere enge Zusammenarbeit.

Diese Epidemie ist wirklich eine der schwierigsten Herausforderungen für die Weltgemeinschaft. Mich persönlich beunruhigen in dieser Hinsicht primär die wirtschaftliche Konkurrenz, die Bestrebungen wirtschaftliche Interessen voranzutreiben, auch durch politische Streitigkeiten, aus welchen Gründen auch immer. Wir sollten es aber als eine Chance für die gesamte Weltgemeinschaft betrachten und versuchen eine gemeinsame Antwort zu finden. Aber auch im letzten Jahr und in den letzten Monaten wurden leider viele Chancen und viel Zeit in dieser Hinsicht verspielt. Als Botschafter in Österreich bin ich wirklich bestrebt etwas dazu beizutragen, dass dieses Thema in unseren bilateralen Beziehungen eine positive Nische einnimmt, unabhängig von allen anderen Fragen.

Aufgrund der Annexion der Krim sind seit 2014 EU-Sanktionen gegenüber Russland aktiv, hinzu kommen weitere Vorkommnisse wie die Causa Nawalny und die Causa Skripal. Österreich verhielt sich diesbezüglich eher ruhig und sprach sich beispielsweise gegen die Sanktionen aus. Halten Sie die Sanktionen für gerechtfertigt?

Ich brauche dazu nicht in die Tiefe zu gehen, die Antwort darauf ist absolut klar. Insgesamt, was unsere Beziehungen mit der Europäischen Union betrifft, ist Österreich ein zuverlässiges EU-Mitglied. Russland ist für die enge Zusammenarbeit und für das Zusammenleben mit der Europäischen Union absolut offen. Wiederrum komme ich auf die verspielten Chancen zu sprechen. Man kann nicht unendlich lange auf einen geschlossenen Türknopf drücken, ohne irgendeine Reaktion zu bekommen.

Zum Fall Nawalny: Ich habe in den letzten Wochen und Monaten mehrere Fragen zu diesem Thema gestellt bekommen. Meine Reaktion ist immer ein bisschen an Verwunderung geknüpft. Das Thema hat absolut nichts mit unseren bilateralen Beziehungen zu tun. Wie auch in anderen Fällen stecken die Beziehungen zwischen der EU und Russland in einer Sackgasse. Die Sanktionen bleiben. Sie werden erweitert und sie werden unaufhörlich verlängert. Die Krim ist Bestandteil der Russischen Föderation, keine Frage. Durch das Bevölkerung-Referendum ist die Wiedervereinigung zustande gekommen und so wird es auch bleiben. Wir werden irgendwann zu einem Punkt kommen, wo die EU-Seite eine prinzipielle politische Entscheidung treffen muss. Die Wirtschaft ist absolut maßgebend in dieser Hinsicht. Aus meinen Gesprächen mit den österreichischen Wirtschaftsvertrieben geht hervor, dass man sich sicher ist, was man über die Sanktionen gegenüber Russland denkt. Es stellt sich auch die Frage: Wem schaden sie letztendlich mehr? Die Sanktionen sind schlimm, sie sind völkerrechtswidrig. Russland ist seit 2014 genötigt, sich in der Not auf seine eigenen Kräfte zu verlassen. Das hat sich umgekehrt aber positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung in den russischen Regionen ausgewirkt. Es ist also ein sehr umfassendes Thema. Ich glaube, dass ich in einigen dieser Thesen den Eindruck auch nochmals bekräftigen kann.

Was entgegnen Sie den Vorwürfen an dem immer wieder menschenunwürdigen Verhalten gegenüber Journalist*innen, Kritiker*innen und der Opposition?

Wissen Sie, wenn man die innere Entwicklung in jedem Land aufmerksam verfolgt, muss man die Grundprinzipien verstehen und definieren. Was sucht man und was möchte man sehen? Ich verfolge die österreichische Presse seit mehr als 15 Jahren sehr aufmerksam. Ein unvoreingenommener Beobachter kann dabei nur den Eindruck erlangen, dass österreichische Journalisten, welche in Russland akkreditiert sind, nur die schwarze Seite suchen, in Bezug auf alle möglichen Fragen. Wenn man österreichische Zeitungen täglich liest, kann man höchstens über irgendwelche kulturellen Veranstaltungen etwas Positives finden. Alles andere über Russland ist dunkel, fast schwarz sogar. Wenn man diesen Eindruck seit Jahren oder Jahrzehnten hat, bedeutet dies, dass es eine gezielte voreingenommene Meinungsbildung gibt. Das finde ich erstens nicht objektiv und zweitens ganz schlimm. Ich habe gute Beziehungen und gute Freunde in Österreich. Ich habe dutzende, hunderte oder tausende Kontakte zu Menschen, ebenso zu beiden Regierungen. Ich spüre aber, mit welcher Verwunderung die Leute nach ihrer ersten Reise aus Russland zurückkommen. Unabhängig davon, ob sie in Moskau, in St. Petersburg, in Sibirien oder wo anders gewesen sind, sind sie meistens erstaunt, dass dort nicht alles ganz so schwarz ist. Sie kommen mit guten Eindrücken von der Natur, aber vor allem von den Menschen zurück. Das wichtigste ist: Sie möchten wiederkommen!

Wir würden nun gerne über Österreichs Rolle als Brückenbauer zwischen Europa und Russland sprechen. In einem Gespräch mit dem Journalisten Dr. Hugo Portisch rund um dessen neuestes Buch Russland und Wir konnten wir bereits erfahren, wie wichtig die europäisch-russischen Beziehungen für beide Seiten sind. Wofür braucht Russland Europa beziehungsweise die EU und wofür braucht Europa Russland?

Ich kenne Hugo Portisch und war auch zur Präsentation seines Buches eingeladen, wo ich auch eine Begrüßungsrede gehalten habe. Das Buch habe ich mit großem Interesse gelesen und finde es sehr empfehlenswert. Russland ist ein Teil Europas, man kann nicht von Russland und Europa sprechen. Russland und der europäische Raum sind kulturell, wirtschaftlich, menschlich und in allen möglichen Hinsichten eng miteinander verbunden. Wir sind aber nicht nur aufeinander angewiesen. In der heutigen weltpolitischen Lage glaube ich, dass es für Europa als auch für Russland wichtig ist, diese direkte Verbindung auszubauen. Ich bin absolut sicher, dass es beiderseitige Vorteile hat. Wir müssen zusammen an unsere gemeinsame Zukunft denken. Zu Ihrer Frage über Klimapolitik zum Beispiel, aber auch in anderen Bereichen. Nehmen wir auch die sicherheitspolitischen Fragen. Gerade hier ist meines Erachtens die Antwort sehr wichtig. Man versucht die Einigkeit auszubauen oder wiederherzustellen, zum Beispiel im Rahmen der NATO und sicher auch im Rahmen der Europäischen Union. So eine Einigkeit ist heutzutage nicht selbstverständlich. Ich sehe es aber problematisch, wenn man versucht, solche Einigkeit über einen gemeinsamen Gegner und zwar Russland zu finden. Das ist schlimm, verkehrt und voreingenommen. Das wird uns auch nichts Gutes für die Zukunft bringen.

Hinsichtlich Kunst und Kultur liest man auf der Website der Botschaft, die russische Kunst (Musik, Theater, Kino, Malerei) ist in Wien und in anderen Bundesländern beinahe omnipräsent und auch österreichische Kunst und Kulturschaffende genießen in Russland stets breite Popularität und hohes Ansehen. Sind es die Gemeinsamkeiten oder doch die Unterschiede beider Künstlernationen, die die Werke für den jeweils anderen so populär machen?

Ob Unterschiede oder Gemeinsamkeiten, beides bringt positive Elemente mit sich. Russische Kunst und Kulturschaffende sind in Wien wirklich überall zu spüren. Nehmen wir die Wiener Staatsoper, Musikverein oder Wiener Konzerthaus. Ich glaube, dass solch kulturelle Präsenz auch ein Brückenprinzip darstellt. Das unterstützen wir äußerst gerne und sehen es als eine Botschaft. Ebenso in den Räumlichkeiten der Botschaft selbst. Die Pandemie ist aber leider eine gezwungene Pause für uns. Die repräsentativen Säle der Botschaft kennen hervorragende russische Künstler*innen und Musiker*innen, die hier für ein ausgewähltes und sehr geschätztes Publikum bereits Konzerte gegeben haben. Das Interesse in Russland für österreichische Kultur ist auch wirklich sehr groß. Ich möchte nur als Beispiel die Salzburger Festspiele nennen und unsere Pläne für das Gesellschaftliche Forum „Sotschi-Dialog“ in diesem Zusammenhang. Jenes besteht schon seit zwei Jahren und entstand beim Treffen von den Präsidenten Van der Bellen und Putin. Wir hoffen, das zweite Forum in Anknüpfung an die Salzburger Festspiele gestalten zu können. Aber es gäbe natürlich noch mehr Beispiele. Deshalb auch die gemeinsame kulturelle Ausrichtung vor unseren gemeinsamen und thematischen Jahren.

Es ist natürlich immer schwierig Kunst in eine Schublade zu stecken, aber was macht für Sie die russische Kunst aus, was macht sie so besonders?

Die Seele vielleicht, um mich kurz zu fassen. Ein Gefühl der russischen Seele.

Ganz allgemein, was kann Österreich noch von Russland lernen und umgekehrt?

Lernen kann man von beiden Ländern, beziehungsweise vom Partnerstaat sehr viel. Die Voraussetzung ist aber eigentlich der Wunsch danach, zu lernen. Wenn man etwas Neues, Interessantes, Vordringliches im Partnerstaat erfahren möchte, dann findet man natürlich viele interessierte Partner*innen und offene Menschen. Wieso legen wir eine so große Aufmerksamkeit auf den Austausch von Jugendlichen? Für die Zukunft kann dies viel mehr als man denkt bedeuten, etwa bei politischen Treffen. In Österreich als auch in Russland haben wir ein sehr großes Interesse an Jugendlichen und ebenso an der Entwicklung und Förderung solcher Kontakte. Schon im Gymnasium, zum Beispiel im Schottengymnasium in Wien, wird seit 50 Jahren die Mission verfolgt, partnerschaftliche Kontakte und gute Zusammenarbeit mit einer Schule in Moskau zu ermöglichen. Dort wird Deutsch gelehrt und wenn solche Kontakte seit Jahrzehnten bestehen, ist es manchmal höchst interessant, diesen Spuren zu folgen. Solche informellen Freundschaften spielen eine wirklich tragende Rolle und sind etwas sehr Bedeutendes für die weitere Entwicklung.

Noch eine abschließende Frage: Als Botschafter hat man Zugang zu den prächtigsten Orten Wiens. Doch abseits davon, welche Plätze besuchen Sie am liebsten?

Es gibt wirklich sehr viele schöne Plätze und historische Gebäude in Wien. Was mir in den letzten Monaten aber wirklich fehlt, ist die Möglichkeit, mich in meinen Bestrebungen nicht nur auf Wien zu begrenzen. Wir haben wirklich sehr gute Kontakte zu allen Bundesländern und Landeshauptleuten gute Kontakte. Was durch die Pandemie und durch bekannte Begrenzungen eingeschränkt wurde, ist die Möglichkeit für persönliche Kontakte. Ebenso für private Ausflüge. Österreich ist bildschön. Ich reise, wenn die dienstlichen Möglichkeiten es erfordern oder auch privat, sehr gerne durch das Land und durch die einzelnen Bundesländer. Vielleicht ist es aber auch eine Schwierigkeit unseres Berufes, dass man nicht alles wirklich über Online-Konferenzen und durch Briefwechsel erledigen kann. In der Diplomatie kann nichts die persönlichen Gespräche ersetzen. Deshalb sehen wir uns hoffentlich auch bald wieder, aber ohne Maske. Vielen Dank für diesen Besuch und die Möglichkeit, offen über diese Themen zu sprechen, denn es ist so viel mehr Wert, seinen Gesprächspartnern direkt in die Augen sehen zu können!

Wir bedanken uns bei Botschafter Dmitrij Ljubinskij für das Gespräch.

Lukas Bayer
Lukas hat in Salzburg den Bachelor Philosophie, Politik und Ökonomie abgeschlossen. Seit Ende 2020 studiert er Global Studies an der KF Graz und beschäftigt sich vor allem mit ökonomischen und umweltspezifischen Themen, sowie mit Fragen sozialer Gerechtigkeit.

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