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Die weltpolitische Lage der letzten Jahre und Jahrzehnte hat sich grundlegend geändert. Der einst stabilen bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges folgt heute eine multipolare Zeit, in der die Karten neu gemischt werden und die großen Player sich neuerfinden müssen. Es ist eine Regelmäßigkeit, dass neue Großmächte alte ablösen, Hegemone sich herausbilden und sich der Zyklus immer wieder wiederholt. Dabei können ehemalige Kontrahenten zu Verbündeten werden und vice versa. Die Konstante der Weltpolitik ist dennoch: Staaten, vor allem Großmächte versuchen unabhängig von der Zeit ihre Machtbasis auszubauen, um das eigene Überleben zu sichern. Sie handeln rational. Die Veränderungen in der Geopolitik und das Entstehen neuer wichtiger Akteure ist unumgänglich. Einst dominierten das Römische Reich und Karthago die globale Politik, später waren es zeitweise die Spanier oder Portugiesen – oder etwa die Franzosen und Briten.

Post-Kalter-Krieg: Die Konfrontation neuer politischer Zentren

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem faktischen Ende des Kalten Kriegs folgte eine Zeit der amerikanischen Hegemonialpolitik, gefolgt von einer multipolaren Weltordnung, in der wir uns heute wiederfinden. Gab es früher zwei Großmächte, die technologisch, wirtschaftlich, politisch und militärisch ganz klar die anderen dominierten, so hat sich das heute verändert. Es gibt viel mehr starke Akteure, viel mehr Pole und viel weniger – wenn überhaupt – Hegemonialmächte. Heute stellt sich die Frage: Um welche Großmächte dreht sich die Weltpolitik heute? Welche Pole werden sich durchsetzen und was bedeutet das für die globale Sicherheit? Waren es einst die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, so lässt sich sagen, dass es heute ein Bündel an potentiell aufstrebenden Regionalmächten sind: USA, China, Russland, Indien, Brasilien, EU und einzelne Mächte im Nahen Osten. Dennoch wird diese Aufzählung von Mächten de facto von den Vereinigten Staaten und China dominiert. Russland ist militärisch nach wie vor ein gewichtiger Akteur, die Wirtschaftskraft ist aber nicht einmal annähernd ausreichend, um ernsthaft mit China, den USA oder der EU zu konkurrieren. Mit 1,6 Billionen rangiert Russland im Vergleich zu etwa 21 Billionen der USA, 18 Billionen der EU und 14 Billionen Chinas weit abgeschlagen auf Platz 11 – hinter Brasilien, Indien, Kanada, Japan und mehreren europäischen Staaten.

China […] versucht die Vereinigten Staaten in Teilen der Welt abzulösen und den Rang abzusprechen. Das einst eher marode, vom Bürgerkrieg und Kriegen zerrüttete Land hat heutzutage ein gewichtiges Wort auf dem internationalen Parkett.

Eine weltpolitische Konfrontation Russlands und der USA wie etwa im Kalten Krieg ist heute nicht direkt gegeben. Vielmehr handelt es sich um einzelne Stellvertreterkriege, in denen Russland die eigene post-sowjetische Einflusssphäre dominieren will und die Vereinigten Staaten diese schwächen wollen. Die Kernsorgen der Vereinigten Staaten liegen ganz woanders: Nämlich in China. Der Konkurrenzkampf zwischen China und den Vereinigten Staaten entwickelt sich zu einem neuen Kalten Krieg, in der sich zwei wirtschaftliche Giganten gegenüberstehen. China, das aufstrebende Reich im Osten versucht die Vereinigten Staaten in Teilen der Welt abzulösen und den Rang abzusprechen. Das einst eher marode, vom Bürgerkrieg und Kriegen zerrüttete Land hat heutzutage ein gewichtiges Wort auf dem internationalen Parkett.

Die russische Rolle im Sino-Amerikanischen Konflikt

Was in dieser politischen Konfrontation aber viel spannender ist, ist die Rolle anderer Staaten – allen voran Russlands. Zwar ist Russland globalpolitisch nicht das Zugpferd, wird aber eine entscheidende Rolle in der chinesisch-amerikanisch Konfrontation spielen. Dabei gibt es vor allem zwei Standpunkte: Medial etwas weitläufiger verbreitet, ist die Darstellung einer russisch-chinesischen Allianz gegen den Westen. Die andere Darstellung geht langfristig von einer russisch-amerikanischen Allianz gegen China aus.

Es lohnt sich vor allem die letztere Darstellung sich genauer anzuschauen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist Russland seit Peter den Großen ein wesentlicher Akteur des Europäischen Konzerts und galt als Bestandteil des Westens. Bis zur Oktoberrevolution galt Russland de facto als integraler, wenn auch hegemonialer Bestandteil des Westens. Das wird spätestens durch die napoleonischen Kriege klar. Beinahe symbolisch für die Westzugehörigkeit Russlands ist unter anderem der Boxeraufstand und die internationale Intervention in China – geleitet von westlichen Ländern, an vorderster Reihe Russland. Auch die wesentlichen Gefahren, das Russland im Laufe der Geschichte begegneten, gingen nicht nur vom europäischen Festland aus, sondern auch und vor allem aus dem Osten und Süden – etwa durch die Chinesen, Japaner, die goldene Horde, die Tataren oder etwa Osmanen.

Obwohl kommunistisch geprägt, galten beide Länder in den 70er Jahren als Erzrivalen.

Ein weiterer Faktor ist die historische – mittlerweile oft vergessene – Anspannung zwischen Russland und China. Beispielhaft ist dafür 20. Jahrhundert. Obwohl kommunistisch geprägt, galten beide Länder in den 70er Jahren als Erzrivalen. Nicht zuletzt wollten die Vereinigten Staaten genau aus diesem Grund in der Nixon-Ära die Beziehungen zwischen den USA und Russland einerseits und USA und China andererseits stärken. Die Sowjets und die Chinesen standen vor einer indirekten Konfrontation, in der beide Seiten andere Akteure – etwa die USA auf ihre Seite ziehen wollten. Das störte die Kommunisten trotzdem nicht, Nordvietnam im Kampf gegen den Süden zu unterstützen. Das Revival der chinesisch-russisch Beziehungen ist jung, sollte aber ohne ideologische Scheuklappen betrachtet werden.

Die weitläufige Darstellung einer russisch-chinesischen Freundschaft ist zumindest etwas selektiv. Wenn, dann kann nur von einer temporären Zweckgemeinschaft die Rede sein. Eine Zweckgemeinschaft mit einigen Überlappungen und gemeinsamen Interessen, aber vor allem auch vielen Konfliktlinien und Graubereichen. Die Zweckgemeinschaft besteht darin, dass beide Großmächte Vorbehalte gegenüber dem Westen haben. Hinter der Fassade einer Freundschaft gibt es aber eine Reihe von Fragen: Russland versucht den chinesischen Konterpart zu besänftigen – das ist mehreren Faktoren geschuldet. Einerseits der wirtschaftlichen Überlegenheit Chinas, andererseits den dünn-besiedelten Ostgebieten Russlands und der Bevölkerungsstärke Chinas. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurden in den 90ern und 2000ern mehrere Grenzfragen zwischen China und Russland durch russische Zugeständnisse an China gelöst (etwa der Vertrag 2004). Weiters drängt außenpolitisch China stärker in den postsowjetischen Raum ein und das macht sich vor allem in Zentralasien bemerkbar. Während Russland versucht die eigene Einflusssphäre beizubehalten, gibt es einen steigenden chinesischen Einfluss in dieser Region – wohlgemerkt, gegen die Interessen Russlands.

Indien und China gelten als geopolitische Rivalen und Kontrahenten in der Region. Die schwierigen Verhältnisse Chinas mit einer Reihe von asiatischen Ländern stellt vor allem die russisch-chinesischen Beziehungen auf den Prüfstand.

Es ist zu einfach und falsch, das Bild auf Russland, China und die Vereinigten Staaten herunterzubrechen. Asiatische Länder wie etwa Indien, aber auch der Vietnam und eine Reihe südostasiatischen Ländern üben sich in einem Balanceakt gegenüber China. Das kommunistische Vietnam scheut sich dabei nicht, bei den Vereinigten Staaten anzuklopfen. Indien und China gelten als geopolitische Rivalen und Kontrahenten in der Region. Die schwierigen Verhältnisse Chinas mit einer Reihe von asiatischen Ländern stellt vor allem die russisch-chinesischen Beziehungen auf den Prüfstand. Denn Russland pflegt historisch gute Beziehung zu Indien. Eine Parteinahme Russlands zugunsten Chinas im indisch-chinesischen Kräftemessen ist unwahrscheinlich. Auch zu anderen asiatischen Ländern, mit denen China komplizierte Beziehungen pflegt, hat Russland ein offeneres Verhältnis. Das macht sich vor allem auch im Koreakonflikt bemerkbar. Russland betreibt gegenüber beiden koreanischen Staaten ein pragmatisches Verhältnis, nicht zuletzt auch zu Südkorea. Man könnte sogar argumentieren, dass die antichinesische Stimmung in Asien und die amerikanische Präsenz im Ostasien Russland teilweise in die Hände spielt. Denn ein chinesischer Hegemon ohne Gegengewicht würde Russland politisch erdrücken. Nicht zuletzt deswegen ist ein Balanceakt zwischen den Vereinigten Staaten und China wichtig.

Ein neues Vertrauensverhältins zwischen dem Westen und Russland könnte eine neue Chance sein

Die gegenwärtige politische Situation könnte man angesichts der Geschichte als Ausnahmeerscheinung bezeichnen: Die Interessenskonflikte mit dem Westen, zwingen Russland dazu, politisch – teilweise gegen den eigenen Willen – den Blick in den Osten zu richten. Auf kurze Sicht hegt die russische politische Elite weiterhin große Vorbehalte gegenüber den Amerikanern. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Westen und Russland ist zerrüttet und auf dem Prüfstand. Da ist eine Zweckgemeinschaft mit den Chinesen eine wohlwollende Alternative. Langfristig hingegen sind die Gefahren eines hegemonialen Chinas einzelnen Kreisen der russischen politischen Elite durchaus bewusst. Durch eine Allianz mit China würde Russland langfristig gesehen die zweite Geige spielen und als Rohstofflieferant Chinas agieren. Der russische Osten, der an China grenzt ist dazu viel zu bevölkerungsschwach, wirtschaftlich und technologisch chancenlos. Die Wiederherstellung des russisch-westlichen Vertrauensverhältnisses würde Russland wieder zu einem der führenden Akteure im europäischen oder westlichen Orchester machen. Dazu braucht es Zugeständnisse auf beiden Seiten und dazu braucht es eine gewisse Selbstreflexion.

Foto: kremlin.ru

Konstantin Ghazaryan
Neben seiner Mitwirkung an der Interviewführung und -ausarbeitung, verfasst der Political Science MA-Absolvent vor allem Analysen und Kommentare für die Bereiche der internationalen und europäischen Politik. Die Bereiche Sicherheitspolitik, Allianzen und Diplomatie gehören zu seinen Schwerpunkten.

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