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EU-Türkei: Die Wirkung von diplomatischen Normen im Lichte des #sofagate

Am 07. April kam es bei einem bilateralen Treffen zwischen den Präsidenten der EU und dem Präsidenten der Türkei zu einem diplomatischen Skandal. Grund dafür waren nicht so sehr die inhaltlichen Differenzen, sondern eine Ungereimtheit in der Sitzordnung. Denn für  die Präsidentin der Europäischen Kommission gab es keinen gleichwertigen Sitzplatz wie etwa  beim Präsidenten des Europäischen Rates. Was womöglich wie eine Nebensächlichkeit erscheinen mag, kann große Konsequenzen auf bilaterale Beziehungen haben. Doch wieso sind diese Normen in der Diplomatie überhaupt wichtig und was darf Diplomatie?

Ungereimtheiten, indirekte Demütigungen des Konterparts oder die Nicht-Einhaltung der Verhaltensregeln haben in der Geschichte schon oft zu Verstimmungen zwischen Ländern geführt.

Diplomatie ist eine Kunst des Verhandelns und soll dabei helfen, zwischenstaatliche Beziehungen zu verbessern. Das große Instrumentarium der Diplomatie erlaubt es dabei dem Gegenüber, meist dem Repräsentanten eines Landes unterschiedliche, manchmal auch weniger wohlgesonnene Inhalte zu signalisieren. Oft geschieht das durch Körpersprache, zeremonielle Angelegenheiten oder etwa protokollarische Anpassungen – etwa der Sitzordnung oder das Weglassen oder Unterstreichen bestimmter Symbole. Dabei sind Fauxpas‘ in der Diplomatie kein Novum und finden nicht nur etwa zwischen der Türkei und der EU statt, sondern auch bei einem Empfang bei der Queen. Ungereimtheiten, indirekte Demütigungen des Konterparts oder die Nicht-Einhaltung der Verhaltensregeln haben in der Geschichte schon oft zu Verstimmungen zwischen Ländern geführt. Dabei legt die Menschheit seit ihrem Bestehen und seit den ersten Zivilisationen, Kriegen großen Wert auf die Richtigkeit der diplomatischen Normen. Grobe Abweichungen von diesen Normen konnten in der Antike nicht selten auch als feindseliger Akt, wenn nicht sogar als Kriegserklärung gewertet werden. Während die Normen in der früheren Geschichte nicht unbedingt schriftlich festgehalten wurden, ist die moderne Diplomatie durchgängig institutionalisiert.

Angela Merkel auf Staatsbesuch in Russland 2007. Foto: Kremel / Bocharov Ruchei

Auch in der neueren Geschichte wurden Normabweichungen oder besondere Auffälligkeiten während diplomatischen Treffen unterschiedlich gedeutet. Oft ist innerhalb diplomatischer Meetings und dem Setting wenig bis gar nichts dem Zufall überlassen – erst recht bei Meetings auf höchster Ebene. Was  für viele als eine unzeremonielle Unwichtigkeit  oder Schlamperei ist, wird bei Meetings seitens des Gastgebers oft mit einer gewissen Intention eingesetzt – meist mit dem Ziel einer Machtdemonstration. Bücherreif dafür ist etwa das Treffen zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin  aus dem Jahr 2007. Damals war nämlich neben Angela Merkel und Wladimir Putin auch der Hund des Gastgebers anwesend. Abgesehen davon, dass Haustiere bei diplomatischen Treffen eher eine Seltenheit sind, war und ist es auch allgemein bekannt, dass die deutsche Bundeskanzlerin eine Angst vor Hunden hat. Es darf von Zusammenhang zwischen Merkels Hundeangst und der Anwesenheit von Putins Hund bei diesem bilateralen Treffen ausgegangen werden. Hintergrund  dürfte eine  Machtdemonstration einerseits und eine Demütigung des Konterparts gewesen sein.

Auch die Präsidentin der EU Kommission, Ursula von der Leyen musste am 07. April ähnliche Erfahrungen in Ankara beim Treffen mit dem türkischen Präsidenten mitmachen. Denn innerhalb der EU gibt es faktisch zwei Personen, die mit der Position eines Präsidenten oder Premierministers gleichzusetzen sind. Einerseits handelt es sich um den Präsidenten des Europäischen Rates (Charles Michel) und andererseits um die Präsidentin der EU Kommission (Ursula von der Leyen). Dabei besteht der Europäische Rat aus  den 27 Regierungschefs, die Kommission aus 27 Kommissaren, die am ehesten mit Ministern zu vergleichen sind. Aufgrund dieser besonderen Situation sind bei wichtigen Meetings mit ausländischen Partnern oft beide Präsidenten präsent und nehmen gleichwertig daran teil. So oder so ähnlich war es auch in Ankara vorgesehen. Während allerdings ein entsprechender Sessel für Charles Michel bereitgestellt wurde, fand Ursula von der Leyen keinen gleichwertigen Sitzplatz, einen zweiten Sessel. Die Aufnahmen zeigen eine Körpersprache von Ursula von der Leyen, aus der man eine Verblüffung ableiten könnte. Dem nicht genug, musste die Präsidentin der Kommission gegenüber dem türkischen Außenminister auf einem Sofa Platz nehmen (siehe Foto).

Was bei dieser Sitzordnung stattgefunden hat, ist in Wirklichkeit eine Degradierung, Abwertung und Demütigung von Ursula von der Leyen. Denn bei diplomatischen Meetings sitzen grundsätzlich Ranggleiche Personen gegenüber. Beide Präsidenten der EU stellen nämlich die Äquivalente zum türkischen Präsidenten Erdogan. Auf dem Sofa hätte wenn, dann die EU-Äquivalente zum türkischen Außenminister, High Representative Josep Borrell Platz nehmen dürfen. Manche Medien haben dabei in rechtfertigender Manier den Vertrag von Lissabon zitiert, wo festgeschrieben ist, dass der Präsident des Europäischen Rates eine höhere Stellung hat als die Präsidentin der Kommission. Das mag zwar zutreffen, aber die Rangwertigkeit zwischen Michel und von der Leyen spielt in diesem Kontext keine Rolle. Denn beide sind – unabhängig der Tatsache, dass Michel in der Rangordnung höher steht – dem türkischen Präsidenten gleich gestellt (da beide Präsidenten/Regierungschefs sind). Alles andere entspricht hierbei nicht der Etikette. Erst recht nicht, wenn die Präsidentin oder Regierungschefin (was von der Leyen de facto ist) einem Außenminister gleichgesetzt wird.

Was bei dieser Sitzordnung stattgefunden hat, ist in Wirklichkeit eine Degradierung, Abwertung und Demütigung von Ursula von der Leyen.

In Anbetracht dessen, dass die Türkei nun auch aus der Istanbul-Konvention, die sich der Stärkung von Frauenrechten verschreibt, ausgestiegen ist, hat der ganze Skandal einen bitteren Beigeschmack. Die Rechte der Frauen werden in der Türkei, auch in den liberaleren Zentren Istanbul und Ankara immer mehr verletzt. In diesem Licht bekommt der Sitzplatzskandal, mittlerweile bekannt als #sofagate, auch eine sexistische Dimension. Und tatsächlich ist es neben dem diplomatischen Fehlgriff auch ein Symbol für den Sexismus einerseits und die auf wackeligen Füßen stehenden EU-Türkei Beziehungen.

Jean-Claude Juncker und Donald Tusk mit Premier Erdogan in Antalya 2015.
Bild: Europäische Kommission / Johanna Leguerre

Die  Aufregung der Kommissionspräsidentin ist nicht nur verständlich, sondern auch vollkommen gerechtfertigt. Was allerdings weniger verständlich ist, ist die Passivität des Ratspräsidenten Charles Michel. Nicht nur die Passivität, sondern auch die halbherzige Entschuldigung, das nachträgliche Zurückrudern und die Relativierung des Fauxpas. Auch dieser verwies auf die protokollarische Korrektheit. Dabei scheint  dem Ratspräsidenten entglitten zu sein, dass bei früheren Treffen in der Türkei sehr wohl beide EU-Präsidenten einen entsprechenden, gleichwertigen Sitzplatz erhielten. Ob und inwiefern es sich um eine gezielte Provokation, ein Signal oder doch nur um eine Schlamperei handelt, sei dahingestellt. Fest steht, dass die türkische Seite von der Besonderheit der EU sehr wohl informiert war und  dies auch in der Vergangenheit mit einbezogen hat.

Mit einem solchen Schritt zeigt die Türkei einen hohen Grad an Respektlosigkeit gegenüber der EU.

Mit einem solchen Schritt zeigt die Türkei einen hohen Grad an Respektlosigkeit gegenüber der EU. Die nachfolgende Relativierung und Nicht-Entschuldigung werden den EU-Türkei Beziehung  ebenso kaum dienlich sein. Inwiefern sich ein solcher „Unfall“ auf die EU-Türkei Beziehungen auswirken wird, ist schwierig zu sagen. Einen negativen Effekt könnte es mit Sicherheit auch für das Verhältnis zwischen den beiden EU-Präsidenten und ihren Institutionen, die ohnehin in einer EU-internen Rivalität stehen, bedeuten.

Beitragsbild: Europäische Kommission / Necati Savaş

Konstantin Ghazaryan
Neben seiner Mitwirkung an der Interviewführung und -ausarbeitung, verfasst der Political Science MA-Absolvent vor allem Analysen und Kommentare für die Bereiche der internationalen und europäischen Politik. Die Bereiche Sicherheitspolitik, Allianzen und Diplomatie gehören zu seinen Schwerpunkten.

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