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Wann ist ein Staat ein Staat? Auf diese relativ einfache Frage gibt es in der Politik und Politikwissenschaft selbst eine vielschichtige Debatte. Handelt es sich dann um einen Staat, wenn es über die drei Elemente eines Staates – etwa das Staatsvolk, das Staatsgebiet und über eine Staatsgewalt – verfügt? Und wieso gibt es Staatsgebilde, die all diese Kriterien erfüllen und dennoch nicht anerkannt werden? Hinter diesen einfachen Fragen stehen rechtliche Fragen und allen voran jene der internationalen Politik

Nicht anerkannte Staaten: Staaten zweiter Ordnung?

Antworten wir auf diese Frage mit einem Ja, so sollten wir nicht vergessen, dass sich im Grunde viele der heute anerkannten Staaten selbst aus anderen Staaten gelöst haben bzw. zu einem gewissen Zeitpunkt selbst nicht anerkannt waren. Viele der Beispiele führen auch direkt an europäische Länder vorbei – von den Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie, der Tschechoslowakei bis hin zu den neuen Staaten aus dem Balkan. Aus diesem Grund gibt es zwei Betrachtungsweisen auf den Status von nicht-anerkannten Staaten: Die eine Betrachtungsweise sieht in nicht-anerkannten Staaten ein Phänomen, einen Ausnahmefall, während die andere Perspektive die temporäre Nicht-Anerkennung als Teil des staatlichen Entwicklungsprozesses sieht.

Auch nicht anerkannte Staaten verfügen über dieselben Institutionen wie die anerkannten. Im Bild. Der Oberste Gerichthof der Republik Arzach/Bergkarabach. /Karl Mancini

Doch worin unterscheiden sich nicht-anerkannte Staaten innenpolitisch von anerkannten? Sie erfüllen in vielen Belangen dieselben Funktionen wie es auch anerkannte Staaten tun: Das betrifft auch und vor allem die Außenpolitik. Nicht-anerkannte Staaten haben ebenso eine Außenpolitik, wobei das höchste und permanente Ziel solcher Staaten die Anerkennungsfrage ist. Die Nicht-Anerkennung und damit einhergehend auch der kaum vorhandene Zugang zu internationalen Organisationen stellt nicht anerkannte Staaten vor große Herausforderungen.

In manchen Fällen sind die nicht anerkannten Staaten sogar demokratisch besser ausgeprägt und stabiler als ihre Elternstaaten.

Anders können Staaten zwar anerkannt sein, aber nicht alle Kriterien eines funktionsfähigen Staates erfüllen. Hierbei kann man das Beispiel Somalias, das zwar anerkannt ist, aber als failed state gilt und andererseits Somaliland, das zwar nicht anerkannt ist, aber funktionsfähig ist, heranziehen. In manchen Fällen sind die nicht anerkannten Staaten sogar institutionell und demokratisch besser ausgeprägt und stabiler als ihre Elternstaaten. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die nicht anerkannten Staaten trotz und wegen der Isolation und aufgrund der internen Legitimität stabilere und demokratischere Strukturen entwickeln. Das äußert sich einerseits am Beispiel von Berg-Karabach, das vom Freedom House Index als teilweise frei eingestuft wird und Aserbaidschan, das als nicht frei eingestuft wird.

Wieso nicht anerkannte Staaten nicht anerkannt werden

Wieso diese Staaten nicht anerkannt werden, hat weniger mit der Funktionsfähigkeit der Staaten per se zu tun, sondern mit der weltpolitischen Situation. Genauer gesagt, handelt es sich um einen Deadlock, wenn es um die Anerkennung neuer Staaten geht. Das ist nicht zuletzt aus dem Grund schwierig, da sich bereits knapp 190 Staaten etabliert haben und hier eine ablehnende Haltung gegenüber neuen Staaten einnehmen – aus Angst Sezessionen im eigenen Land zu motivieren. Die Länder der Sowjetunion und die ursprüngliche Politik der sowjetischen Führungsriege haben diese Problemfelder – oft aus taktischen Gründen heraus – vorprogrammiert.

Nicht anerkannte Staaten im post-sowjetischen Raum / ispionline.it

Eine wesentliche Rolle im Gesamtgefüge spielen hierbei die sogenannten Elternstaaten. „Elternstaaten“, zu denen diese Gebiete de jure gehören, tendieren dazu, die nicht anerkannten Staaten als anarchische, gesetzlose Einheiten ohne jegliche Legitimität darzustellen. Die „Elternstaaten“ versuchen die oftmals stabileren nicht anerkannten Staaten als ein internationales, regionales Risiko zu präsentieren, das es zu bekämpfen gilt. Wenn es um die Überlebensfähigkeit des nicht anerkannten Staates geht, so ist die Abhängigkeit von Protektoren, im Falle Berg-Karabachs etwa Armenien, ganz eklatant. Durch die Abhängigkeit bzw. die Verbindung zum „Protektor“ umgehen nicht anerkannte Staaten die internationale Isolation und können somit eine stärkere internationale Akzeptanz erlangen. Die „Protektoren“ unterstützen in vielen Fällen politisch, finanziell und militärisch den nicht anerkannten Staat, um den status quo beizubehalten. Geht man von einem großen und starken „Protektor“ aus, etwa Russland“, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich eine de facto Unabhängigkeit festigt. Gibt es allerdings keine politisch und militärisch starke Schutzmacht für den nicht anerkannten Staat, so ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der „Elternstaat“ durch eine militärische Intervention die Gebiete wieder „eingliedert“.

Anerkennung bedeutet nicht immer Sicherheit: Nicht anerkannte Staaten als geopolitisches Kleingeld

Die weitläufige Anerkennung eines Staates führt einerseits nicht automatisch zu Sicherheitsgarantien und gleichzeitig bedeutet eine Nicht-Anerkennung nicht automatisch, dass diese Staaten nicht überlebensfähig sind. So ist etwa Israel zwar von den meisten Staaten und der internationalen Gemeinschaft (teilweise) anerkannt oder zumindest akzeptiert, befindet sich dennoch in einem mittlerweile über 70-jährigen Existenzkampf. Auf der anderen Seite genießen Südossetien und Abchasien zwar kaum internationale Anerkennung, sind dennoch aufgrund der Schutzfunktion Russlands keiner Existenzkrise ausgesetzt. Der Preis dafür ist die politische Abhängigkeit.

Demokratie-Indexwerte von Somalia und Somaliland / Freedom House Index

Nicht anerkannte Staaten sind ebenso ein wichtiges Instrument für die globalen und regionalen Player, um ihre Machtposition zu festigen. Dieses Instrument wird vor allem – aber nicht nur – von der Russischen Föderation als ein Druckmittel genutzt, um die unmittelbare Einflusssphäre besser zu kontrollieren. Hierbei werden drei wesentliche politische Werkzeuge herangezogen: Russland hat einerseits durch den Einsatz von Friedenssoldaten in Abchasien und Südossetien den Einfluss in diesen zwei nicht anerkannten Staaten gefestigt und durch die Militärpräsenz vor Ort Druckmittel gegenüber Georgien erhalten. Ein weiteres Instrument ist die sogenannte Passportisierung der Bevölkerung: Die Bürger der nicht anerkannten Staaten können durch erleichterte Bedingungen die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Das führt dazu, dass Russland auf internationaler Ebene argumentieren kann, dass in diesen Gebieten mehrheitlich russische Staatsbürger leben und man sich verpflichtet fühle, dessen Schutz zu gewährleisten. Der Schutz der russischen Bevölkerung im Ausland gehört nämlich zur außenpolitischen Doktrin Russlands und bietet zudem eine gute völkerrechtliche Legitimität.

Viel eher ist das internationale Recht, das Völkerrecht ein Politikum, ein Kräftemessen zwischen politischen Blöcken und ein Mittel, um die eigene Vormachtstellung zu stärken.

Nicht anerkannte Staaten funktionieren ähnlich wie die anerkannten Staaten, in manchen Fällen sind sie stabiler. Oft erfüllen sie die Kriterien der Staatlichkeit. Und obwohl sie international weitgehend isoliert sind, kommt es trotzdem zu Interaktionen zwischen nicht anerkannten Staaten und internationalen Akteuren. Die Nicht-Anerkennung per se ist zwar kein ultimatives Hindernis für „zwischenstaatliche“ Beziehungen und doch stellt sie diese Staaten vor politische Herausforderungen. Das Völkerrecht als solches wird als Spielball der globalen Player instrumentalisiert. Viel eher ist das internationale Recht, das Völkerrecht ein Politikum, ein Kräftemessen zwischen politischen Blöcken und ein Mittel, um die eigene Vormachtstellung zu stärken. Jenes Völkerrecht, das neben dem Recht auf territoriale Integrität das Selbstbestimmungsrecht der Völker als universales Recht vorsieht.  Leidtragende sind dabei immer die Menschen vor Ort.

Konstantin Ghazaryan
Neben seiner Mitwirkung an der Interviewführung und -ausarbeitung, verfasst der Political Science MA-Absolvent vor allem Analysen und Kommentare für die Bereiche der internationalen und europäischen Politik. Die Bereiche Sicherheitspolitik, Allianzen und Diplomatie gehören zu seinen Schwerpunkten.

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