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Vier Jahre Donald Trump haben nicht nur zu einem Paradigmenwechsel in der Innenpolitik geführt, sondern auch die Doktrin in der Außenpolitik stark verändert. Die Maxime der bisherigen US-amerikanischen Außenpolitik, nämlich die Rolle der Weltpolizei, wurde in weiten Teilen der Welt kritisiert. Kritisiert wurden allen voran der Irakkrieg, die Mission in Afghanistan und stellenweise der Umgang mit dem Arabischen Frühling. Auf moralischer und womöglich emotionaler Ebene dürfen die außenpolitischen Aktivitäten der USA, aber auch Russlands und Chinas einem durchaus missfallen. Aus einem nüchternen und realpolitischen Standpunkt heraus braucht es dennoch Hegemonialmächte in der Weltpolitik, im Idealfall ein Gleichgewicht zwischen zwei unterschiedlichen Polen.

Zwischen Polarisierung und Schaffung eines Ungleichgewichts

Das Mächtegleichgewicht in einzelnen Regionen der Welt ist nämlich ein Stabilitätsfaktor. Der Wegfall des Gleichgewichts der Mächte kann hingegen zu einem Risikofaktor in einer Region werden. Durch ein Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und Russland ist es möglich gewesen eine mehr oder minder starke Stabilität in Konfliktregionen zu etablieren. Beide Länder fungieren hierbei als gegenseitige Abschreckung und erlauben es dem Counterpart nicht sich ohne Konsequenzen aus dem Fenster zu lehnen. Ohne die Rolle der USA und Russlands in manchen Konflikten des Nahen Ostens zu rechtfertigen: Der vollständige Rückzug Amerikas aus einem Konfliktgebiet hat fatale Folge für die Region im Gesamten. Objektivitätshalber muss erwähnt werden, dass ein Rückzug aus manchen Gebieten bereits unter Obama stattgefunden hat, allerdings stufenweise, geordnet und nicht vollständig.

Das neue Narrativ unter Trump hat vor allem zwei Effekte gehabt: Eine vollständige Polarisierung in der Region und die Schaffung eines Ungleichgewichts. Die Schwarz-Weiß-Politik Donald Trumps, wonach Staaten im Nahen Osten entweder als Verbündete oder Erzrivalen angesehen werden, lässt keinen Raum für Schattierungen in den Beziehungen. Parallel dazu führt der außen- und sicherheitspolitische Abzug aus Regionen wie etwa Syrien dazu, dass gewissermaßen ein Machtvakuum entsteht, dass von Russland und der Türkei gefüllt wurde. Wagt man einen zeitlichen Rückblick, lässt sich erkennen, dass seit dem Amtsantritt Donald Trumps und dem damit verbundenen Rückzug aus dem Nahen Osten die türkischen und russischen Aktivitäten in der Region stark zugenommen haben.

Das Füllen des Machtvakuums: Neue Akteure, neue Konflikte

Musste Russland bis jetzt in einer unfreiwilligen Zweckpartnerschaft mit den Vereinigten Staaten für diese Region Minimalkompromisse finden, hat es seit dem Rückzug der USA aus der Region nunmehr freie Hand. Die türkische Intervention in Nordsyrien wäre in dieser Form vermutlich ohne das grüne Licht aus Moskau und Washington nicht möglich gewesen. Erst durch den Truppenabzug der USA aus nordsyrischen Gebieten, wovor übrigens kurdische Minderheiten gewarnt haben, konnte eine türkische Intervention stattfinden. Das führt auch zu einer gewissen Zweckpartnerschaft zwischen Russland und der Türkei, wo es zwar einerseits viel Interessenskonflikte gibt, gleichzeitig aber Zugeständnisse gemacht werden.

Das US-amerikanische Machtvakuum wurde nicht nur in Syrien von anderen Regionalmächten gefüllt, sondern auch in Libyen und im gesamtarabischen Raum im Allgemeinen.

Das US-amerikanische Machtvakuum wurde nicht nur in Syrien von anderen Regionalmächten gefüllt, sondern auch in Libyen und im gesamtarabischen Raum im Allgemeinen. Die türkischen Provokationen im Mittelmeerraum und die vertiefte Partnerschaft mit Teilen der libyschen Machthaber ist im Kontext der Abwesenheit der amerikanischen Präsenz zu sehen. Der amerikanische Rückzug, die neoosmanischen Ambitionen im Nahen Osten & im Mittelmeerraum und die partielle Partnerschaft mit Russland haben auch zu einer härteren Rhetorik zwischen Ankara und Brüssel geführt. Erst nachdem die Wahlniederlage Donald Trumps manifestiert wurde, zeigte sich Ankara erneut bereit für „freundschaftliche Beziehungen“ mit der EU.

Ungeachtet von den Positionen Russlands und den USA haben sie ein stabileres Machtgleichgewicht geschaffen und konnten so zumindest die Einmischung weiterer Akteure, etwa der Türkei, verhindern. Seit 2016 hingegen wird der ohnehin schon heiße Konfliktherd weiter entfacht: Eine neue Konfrontation im Mittelmeerraum, direkte Stellvertreterkriege in Libyen, Angriffe im Irak und der Karabach-Krieg. All das sind Konflikte, die ohne einen dermaßen starken Paradigmenwechsel Washingtons zumindest in dieser Form nicht eingetreten wären.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Karabach-Krieg 2020: Abgesehen davon, dass die türkische Intervention und Motivation den Konflikt erst herbeigeführt hat, wollte die einzige Großmacht in der Region, Russland, nicht aktiv eingreifen. Durch den Wegfall des amerikanischen Einflusses, wurde es zu einem reinen Konflikt zwischen Russland und der Türkei. Die taktische (zumindest aktive) Nicht-Einmischung Russlands in den Konflikt und die darauffolgenden für Armenien schmerzlichen und für Russland profitablen Waffenstillstandsbedingungen sind zumindest teilweise auf den US-amerikanischen Rückzug zurückzuführen. Die allgemeine „America First“ Isolationspolitik und das außenpolitische Desinteresse haben zu profitablen Rahmenbedingungen für Russland und Türkei in der Region geführt. Objektivitätshalber sei anzumerken, dass sich die USA aufgrund des außenpolitischen Rückzugs sich in den letzten Jahren auch in keinen neuen Konflikt verwickelt haben. Global und regional gesehen zieht es aber mehr Instabilität mit sich: Eine aktivere Außenpolitik der Vereinigten Staaten würde die einseitige Entscheidungsgewalt Russlands und der Türkei reduzieren und konkret im Falle des Karabach-Kriegs für bessere Konditionen für Armenien sorgen. Die einzige Aktivität im Kaukasuskonflikt zeigte die Trump-Administration lediglich mit der Kürzung der finanziellen Hilfen für Armenien und der Erhöhung ebenjener Hilfen für Aserbaidschan.

Bidens Wahlsieg: Erleichterung für Europa, Anspannung in Moskau und Ankara

Neben dem außenpolitischen Desinteresse hat vor allem die Polarisierung einen fatalen Effekt auf die Instabilität der Region gehabt. Treffen und Abkommen zwischen Israel und Palästina, Nordkorea und USA oder im Balkan lassen sich zwar medial gut vermarkten, sind aber in großen Teilen Symbolpolitik ohne ernsthafte Verbesserung der Situation. Der Ausstieg aus dem Iran-Deal und die folgende offene Konfrontation haben hingegen jahrelange Bemühungen der Obama-Administration für einen mehr oder minder stabilen Frieden zu Nichte gemacht.

Die Abwahl Trumps führt in manchen Regionen zu einer Erleichterung: Mit der Wahl Joe Bidens lässt sich in punkto Außenpolitik eine Wiederannäherung an Europa und eine aktivere Außenpolitik im Nahen Osten erwarten. Das führt nicht zuletzt dazu, dass man in Moskau und Ankara nicht zwangsweise über einen Wahlsieg Joe Bidens erfreut ist.

Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren das Ein-mal-Eins der Geopolitik über Bord geworfen, sie haben vor allem im Nahen Osten und dem Mittelmeerraum ein Ungleichgewicht, ein Vakuum und damit einhergehend eine Instabilität hinterlassen.

Ohne ein Urteil über die Innenpolitik, die Rhetorik oder die inhaltlichen Positionen der Trump-Administration zu füllen, lässt sich in punkto Außenpolitik festhalten: Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren das Ein-mal-Eins der Geopolitik über Bord geworfen, sie haben vor allem im Nahen Osten und dem Mittelmeerraum ein Ungleichgewicht, ein Vakuum und damit einhergehend eine Instabilität hinterlassen. Der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger formulierte einen der Grundsätze der Weltpolitik treffenderweise so: „In the end, peace can be achieved only by hegemony or by balance of power.“

Konstantin Ghazaryan
Neben seiner Mitwirkung an der Interviewführung und -ausarbeitung, verfasst der Political Science MA-Absolvent vor allem Analysen und Kommentare für die Bereiche der internationalen und europäischen Politik. Die Bereiche Sicherheitspolitik, Allianzen und Diplomatie gehören zu seinen Schwerpunkten.

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