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Anlässlich der 59. Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten am 03. November einigten sich die dominanten Akteure im amerikanischen Zweiparteiensystem im Vorfeld auf insgesamt vier Fernsehduelle. Drei davon sollten direkt zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden ausgetragen werden. Während das erste bereits stattfand, wurde das „Rückspiel“ kürzlich abgesagt. Aufgrund Trumps jüngster Corona-Infektion sollte die Debatte zunächst im virtuellen Format abgehalten werden, sehr zu dessen Unmut. Einer von den Republikanern geforderten Verschiebung stimmte die zuständige Kommission [efn_note]https://www.tagesschau.de/ausland/uswahl2020/uswahl2020-biden-trump-debatte-absage-101.html[/efn_note] nicht zu. Stattdessen wurde das Event abgesagt, wodurch es am 22. Oktober zum zweiten und somit letzten TV-Duell zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten kommt.

Die erste Debatte sorgte weltweit für Furore, aber nicht zuletzt auch bei der amerikanischen Bevölkerung. In der Kritik standen insbesondere die respektlose Diskussionskultur sowie der verrohte Umgang der beiden Anwärter miteinander, die sich hierbei immerhin um die Führung einer globalen Weltmacht bewarben. Zu Bidens Verteidigung sei jedoch gesagt, dass das Sinken der ‘MS Niveau’ in erster Linie dem amtierenden „Kapitän“ zuzuschreiben war. Früheren Erfahrungen zufolge, etwa im Umgang mit Hillary Clinton vor der letzten Wahl, war Trumps Strategie gewissermaßen zu erwarten. Lügen, Unterbrechungen, Anschuldigungen und einschüchterndes, aufbrausendes Verhalten standen an der Tagesordnung – für Trump heiligt sein persönlicher Zweck die Mittel. Denn je ebener das gemeinsame Spielfeld ist, desto mehr seiner Expertise kann der aktuelle Präsident wirkungsvoll einsetzen. Mit dem ultimativen Ziel, Biden aus der Reserve zu locken und zu Fehlern zu zwingen. Abgesehen von dessen verbaler Entgleisung: „will you shut up, man?“, wahrte der Herausforderer im Gros aber seine Contenance, sogar bei Angriffen auf seine Familie. Zu seinem Vorteil etablierte sich das Zitat überdies rasch als allgemeiner Tenor vieler Trump-Gegner. Wie die New York Times berichtet, wurde daraus sogar ein Merchandise-Slogan, im Rahmen seiner Kampagne[efn_note]https://www.nytimes.com/2020/09/30/us/elections/will-you-shut-up-man-quickly-becomes-a-biden-campaign-t-shirt.html[/efn_note]. Indes zeugt es nicht gerade von einer respektvollen Haltung gegenüber dem Amt per se, wenn man den Präsidenten buchstäblich als Clown bezeichnet.

In Summe geht trotzdem Biden als Sieger hervor, der für seine Verhältnisse wenig irritiert wirkte und so seinem Stigma als „Sleepy Joe“ entgegenwirken konnte. Die seitherigen Entwicklungen der Wahlprognosen von FiveThirtyEight unterstützen diese Annahme, da Biden (blaue Kurve) seinen Vorsprung fortlaufend ausbaut. Die Verlierer des Abends sind möglicherweise Trump (rote Kurve), dessen Gewinnchancen im Umkehrschluss sinken, und definitiv der Anspruch der Zuseher*innen. Der Vorbehalt bei Trumps Niederlage rührt daher, dass er seiner autoritären Linie treu geblieben ist, für die ihn der Großteil seiner Unterstützer bejubelt. Sein erneutes Aufspielen als Hardliner birgt zudem das Potenzial, noch Unentschlossene von sich zu überzeugen. Immerhin sind es bis zur Wahl noch zwei Wochen und es steht ein weiteres TV-Duell an. Außerdem ist die amerikanische Politik derzeit geprägt von der wegweisenden Entscheidung, wer die Nachfolge der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg im Supreme Court antritt, sowie einer nach wie vor angespannten Covid-19 Situation. Trump mag zwar die erste Schlacht verloren haben, den Krieg jedoch noch nicht.

„Chance of Winning“-Prognose zur US-Präsidentschaftswahl. Quelle: FiveThirtyEight

In Anbetracht der beschriebenen Ausschreitungen war das Interesse am nächsten Schlagabtausch zwischen Demokraten und Republikanern entsprechend groß. Die Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris (Demokraten) und der derzeitige Vizepräsidenten Mike Pence (Republikaner) trafen am 7. Oktober aufeinander.

Das „Vize-Duell“ zwischen Pence und Harris

Mit Blick auf das „Vize-Duell“ ist es ebenso lobenswert wie bedauerlicherweise nennenswert, dass die Debatte weitestgehend friedlich und zivilisiert über die Bühne ging. Beide Vertreter ihrer Parteien bemühten sich sowohl während als auch im Anschluss an ihre Konfrontation, das Standing der amerikanischen Diskussionskultur aufzupolieren. Doch es kam erneut nur bedingt zu einer Diskussion im eigentlichen Sinne. Im Vorhinein festgelegte Themen wurden der Reihe nach abgearbeitet. Auf Statements der einen Seite folgten Statements der anderen. Nur vereinzelt wurde daraus ein de facto interaktives Gespräch entlang unterschiedlicher Standpunkte. Worunter schlussendlich insbesondere der inhaltliche Mehrwert für das Publikum zu leiden hatte. Ob dieses abermals auftretende Muster nun an den Teilnehmer*innen selbst, dem Format oder den Moderator*innen lag, sei zunächst dahingestellt und wird sich eventuell beim letzten TV-Duell zeigen.

Zu Beginn eröffnete Moderatorin Susan Page den Abend mit Fragen zur omnipräsenten Corona-Pandemie. Pence bemühte sich um eine Image-Säuberung für Trump, indem er die rekordverdächtige Entwicklung und Bereitstellung eines Corona-Impfstoffes zum Ende des Jahres in Aussicht stellte und das amerikanische Volk als verantwortungsvoll anpries. Harris hingegen warf den Republikanern Regierungsversagen vor und stellte in Frage, weshalb es trotz eines vermeintlich professionellen Umgangs zu derart desaströsen Zuständen kommen konnte. Des Weiteren unterstellte sie, es gäbe keinen konkreten Pandemieplan, obwohl die Bevölkerung das Recht auf aufrichtige und fürsorgliche Maßnahmen hätte. Pence konterte mit Plagiats-Vorwürfen gegen Joe Biden, wobei er offensichtlich nicht nur auf ein angebliches Abkupfern der eigenen Vorhaben anspielte. Insgesamt schwang die Auseinandersetzung rasch in eine Diskussion der Volkszentriertheit um: Vertrauen ins Volk, dessen Wille und Entscheidungsmacht Pence zufolge maßgebend seien versus der seitens Harris geforderten Regierungsverantwortung, deren Anvertrauen stets mit einer gewissen Rechenschaftspflicht und Reaktionsbereitschaft verbunden ist.

Die Einleitung des zweiten Themas zielte darauf ab, zur angedachten Vizerolle Stellung zu beziehen. Denn sowohl der amtierende Präsident als auch sein potenzieller Nachfolger befinden sich bekanntermaßen im fortgeschrittenen Alter. Harris umschrieb den Prozess ihrer Ernennung und den Weg dorthin, während sie sämtliche Verdienste aus ihrer Zeit als Senatorin aufzählte. Vor lauter Lobhudelei entfiel es ihr leider, die ursprüngliche Frage zu ihrer angedachten Rolle als rechte Hand zu beantworten. Und Pence? Der amtierende Vizepräsident bevorzugte es, erneut auf die Coronakrise und Joe Bidens Versäumnisse als sein Amtsvorgänger während der Schweinegrippe einzugehen.

Im Anschluss folgte ein ausführliches Segment zur Wirtschaftslage sowie zu Trumps Steuer- und Schuldenleaks. Die Herausforderin nutzte die Gelegenheit, um einen direkten Angriff auf den Präsidenten zu starten. Pences Dementi, da Trump ein erfolgreicher und wichtiger Geschäftsmann sei, schmetterte sie als Lüge ab. Überdies forderte sie, Trumps Tax Bill müsse schnellstmöglich revidiert werden. Ganz im Gegensatz zum Affordable Care Act (Obamacare), der weiterhin Personen mit „pre-existing conditions“ schützen solle. Gepaart mit Investitionsvorhaben in Bildung und Steuern, zu Gunsten des amerikanischen Volkes. Wohingegen Pence, an ebendieses gerichtet, wortwörtlich verlauten ließ: „On day one, Joe Biden is going to raise your taxes“. Gefolgt von harscher Kritik an den Klimaplänen seiner Widersacher, die wirtschaftliche Erfolge zerstören würden. Unter Trumps Administration könnten ihm zufolge mehr Jobs generiert werden und einschlägige Lösungen für das Gesundheitswesen bestünden bereits. Einer konkreten Erläuterung entzog er sich allerdings gekonnt.

Ein großes Potenzial an massenweise neuen Jobs sah die Demokratin dagegen im von Pence kritisierten Green New Deal. Entgegen der Vorwürfe plane Biden nicht, Fracking zu verbieten. Stattdessen betonte sie ihr gemeinsames Vertrauen in die Wissenschaft, um auf deren Basis klare Klimaziele zu formulieren. Der als Leugner des Klimawandels bekannte Republikaner griff wiederum tief in die Trickkiste seines Vorgesetzten. Alternative Fakten über erfolgreiche CO2-Senkungen und eine nie zuvor dagewesene Sauberkeit von Luft, Land und Wasser gingen einem Spagat voraus. Zum einen wollte er eingefleischten Trump-Fans damit gefallen, zum anderen war er sich des Risikos bewusst, die Kooperation mit Wissenschaftlern vor laufender Kamera zu verweigern. Die zögerliche Antwort dürfte beide Seiten nicht vollständig zufriedenstellen.

„China is to blame for the Coronavirus“

Mike Pence

Das fünfte Thema bezog sich auf außenpolitische Angelegenheiten, allen voran die Beziehungen zu China. Wobei Pence erneut seiner Vasallentreue verfiel. „China is to blame for the Coronavirus“ würden einige durchaus Donald Trump als Zitat zuordnen. Gleichermaßen die anschließende Verunglimpfung der WHO und der Kommunikation seitens der chinesischen Regierung, die im Übrigen mit Konsequenzen rechnen solle. Konsequenzen, in denen Harris vermehrt Nachteile für die Preisstabilität und den Arbeitsmarkt der USA identifizierte. Die unter Obama und Biden eingeführte Pandemie-Einheit wurde ihr zufolge von Trump entlassen und das in China ansässige Disease-Team zurückgerufen. Harris propagierte daher eine souveränere Führung, die gedenkt, Beziehungen und Loyalitäten zu pflegen. Trumps unilateraler Isolationismus gefährde die Verhältnisse zur NATO, Russland und anderen. Besonders letzteres gelte es in Schach zu halten. Pences Gegenposition belief sich erstens auf ein Erstarken der NATO, da man sie in Sachen Militärausgaben in die Pflicht gerufen habe. Zweitens stellte er einen direkten Vergleich der Präsidentschaftskandidaten an: Biden, der bei Militäreinsätzen zum Schutze der USA zögere versus Trump, der ISIS erfolgreich bekämpfte und der tragisch verstorbenen Kayla Mueller gedachte.

Kurz darauf kam es zu einem der brisantesten Themen des Abends, wodurch die bisherigen Streitigkeiten endgültig zu einem strategischen Duell um den heißen Brei avancierten: Die Zukunft des Supreme Courts. Wie zu erwarten präsentierte Harris das mittlerweile für die die Demokraten typische Argument. Man befinde sich mitten in einer Wahl und somit nicht in der Lage, eine derart folgenschwere Entscheidung über die Köpfe der Amerikaner*innen hinweg zu treffen. Und Pence? Der amtierende Vizepräsident bevorzugte es, wie bereits zu Beginn der Debatte, seine Redezeit der vorherigen Militärthematik zu widmen. Auf die Frage der Moderatorin zu Abtreibungsgesetzen hin, konkurrierten beide Kandidaten um das raffiniertere Ausweichmanöver. Harris rang sich zwar zu einem mageren Pro-Choice Statement durch, setzte aber unmittelbar die Diskussion um Obamacare zurück an die Tagesordnung. Ihr Widersacher wich einer Stellungnahme zunächst gänzlich aus, man solle lediglich die Richter*innen des Obersten Gerichtshofs respektieren. Später entlockte ihm die Hitze des Gefechts doch noch seine Pro-Life Ansichten, da Abtreibungsgesetze zunehmend ausufern und bis kurz vor der Geburt gelten würden. Gerade als Pences Gefasstheit in diesem Kontext zu bröckeln drohte, gelang ihm sein taktisch effizientester Konter dieses Abends. Er wandte sich direkt an Kamala Harris und fühlte ihr in Bezug auf eine potenzielle Vergrößerung des Supreme Courts auf den Zahn. Ihr perplexes Straucheln legte nahe, dass sie entweder nicht mit dieser Frage gerechnet hatte, oder unbegreiflicherweise nicht die angemessenen Vorbereitungen getroffen hatte. In jedem Fall offenbarte sie zu diesem Zeitpunkt ihre größte Unsicherheit, die sich möglicherweise noch als Schwachstelle in Bidens Kampagne herausstellen wird. Insbesondere deshalb, da auch Biden selbst eine Erweiterung des Supreme Courts nicht negierte.

Zu ihren Gunsten erlangte sie im Rahmen des nächsten Themas ihre Fassung zurück, bei dem systemische Rassismusprobleme in den USA zur Sprache kamen. Immerhin versäumte Trump jüngst, sich von White Supremacists zu distanzieren. Seinen Appell an die rechtsextreme Organisation Proud Boys relativierte er auch im Nachhinein nur sehr verhalten. Harris sprach sich für die ihr zufolge absolut notwendigen friedlichen Proteste der Black Lives Matter Bewegung aus. Unter Bezugnahme auf die Todesfälle George Floyds und Breonna Taylors, verlangte sie daher eine umfassende Polizeireform mit strengeren Gesetzen für die Beamten. Pence pflichtete der Tragik beider Tode bei, verurteilte jedoch die weniger friedlichen Aufstände und Plünderungen. Ferner existierten nach seiner Auffassung keine systemischen Gesetzesvollzugs- und Rassismusprobleme in den Vereinigten Staaten. Das Rechtssystem nannte der Vizepräsident vertrauenswürdig. Unter Trump konnten angeblich große Verdienste für die afroamerikanische Bevölkerung realisiert werden, die aber nicht konkretisiert wurden. Außerdem habe der Präsident höchst selbst jüdische Enkelkinder. Wer kennt es nicht? Das Totschlagargument, man könne durch sein persönliches Umfeld naturgemäß ja gar kein Rassist beziehungsweise Antisemit sein.

Eine abschließende Frage zur Wahl und der Zeit danach leitete das Ende der Debatte ein. Harris verwies auf sämtliche prominente Unterstützer und appellierte an das amerikanische Volk, ihre freie Wahl zu nutzen. Wohingegen Pence, wie auch Trump, einer friedvollen Machtübergabe im Falle einer ausbleibenden Wiederwahl nicht zustimmen wollte.

Summa Summarum vermittelte eine angriffslustige Kamala Harris auf der einen Seite den Eindruck, Joe Bidens PR-Agentin zu sein. Auf der anderen Seite trat Mike Pence mehr oder minder als Donald Trumps Anwalt auf. Gefühlt gingen beide Diskussionsteilnehmer die Präsidentschaftskandidaten der Gegenseite in etwa ebenso oft an, wie ihren direkten Kontrahenten. Wobei die an Trump gerichtete Kritik stellenweise sogar überwog. Die Politikwissenschaftler W. De Nooy und J. Maier [efn_note]De Nooy, W. und Maier, J. (2015). Chapter Seventeen – When Do Attacks Work? Moderated Effects on Voters’ Candidate Evaluation in a Televised Debate. In: A. Nai und A. Walter (ed.), New Perspectives on Negative Campaigning. Why Attack Politics Matters. Colchester: ECPR Press, pp.287-306.[/efn_note] stellten 2015 in ihrer Arbeit über die Auswirkungen der Vorgehensweisen von Kandidaten auf das Wählerverhalten fest, dass eine offensive Herangehensweise tendenziell wirkungsvoller als eine defensive ist. Außerdem birgt es Risiken, eine zustimmende und selbstkritische Reaktion auf das Angriffsverhalten eines Kontrahenten an den Tag zu legen. Dies gilt vor allen Dingen für den Herausfordernden, der ergo stets herausfordern sollte (Challenger Strategy). Zum einen, um die Bilanz des/der Amtsinhaber*in in Frage zu stellen und einen alternativen Plan zu offerieren. Zum anderen gibt es nur einen Grund, weshalb Wähler*innen jemanden aus dem Amt werfen – sie müssen eine/n geeignetere/n Nachfolger*in finden.

Im Gegensatz dazu spielte Pence die angesprochenen Probleme herunter und rückte den Status quo relevanter Themen gezielt in ein positives Licht, wie es klassischer für eine sogenannte Incumbent Strategy wohl kaum möglich sein dürfte. Und zugleich bedeutend solider als der US-Präsident selbst. Nachweislich kann der/die Amtsinhaber*in, in Abhängigkeit der gegenwärtigen Stimmung, nämlich naturgegebene Vorteile haben. Wenn Wähler*innen die gegenwärtigen Umstände als akzeptabel erachten, werden sie wahrscheinlicher für den Amtsinhaber stimmen.

Zusammengefasst sei gesagt, was es Biden an Bissigkeit mangelte, beabsichtigte Harris zu liefern. Was im Gegenzug Trump an vornehmer Zurückhaltung abging, versuchte Pence auszugleichen – also unentschieden?  Jein. Wer in freudiger Erwartung einer Demontage von Mike Pence durch Kamala Harris entgegenblickte, wurde schlichtweg enttäuscht. Obgleich es ihr absolut betrachtet wohl gelang die Oberhand zu behalten, darf die Ausgangslage nicht außer Acht gelassen werden. Trumps sinkenden Umfragewerten und seinen Entgleisungen des ersten TV-Duells erfolgreich entgegenzuwirken, stellte Pence vor eine Herkulesaufgabe. Der in Satire-Sendungen häufig als Schaufensterpuppe verspottete Vizepräsident trat erstaunlich souverän auf und setzte Akzente. Insbesondere durch gezielte Fragen, die aus der Reserve locken sollten, beispielsweise in puncto Vergrößerung des Supreme Courts. Außerdem wirkte er wider Erwarten für seine Verhältnisse relativ emphatisch und nur wenig hölzern, selbst im direkten Kontrast zu Harris.

Trumps sinkenden Umfragewerten und seinen Entgleisungen des ersten TV-Duells erfolgreich entgegenzuwirken, stellte Pence vor eine Herkulesaufgabe. Der in Satire-Sendungen häufig als Schaufensterpuppe verspottete Vizepräsident trat erstaunlich souverän auf und setzte Akzente.

Bei der Konfrontation mit unangenehmen Themen die eigenen Verdienste und Stärken in den Vordergrund zu rücken, ist eine nachvollziehbare Taktik, die dieses zweite TV-Duell dominierte. Die Sozialwissenschaftler Ian Budge und Dennis Farlie [efn_note]Budge, I. & Farlie, D. (1983). Explaining and predicting elections. London: George Allen & Unwin.[/efn_note] beschrieben ebendieses Phänomen in ihrer bahnbrechenden Salienztheorie der 1980er-Jahre, neben weiteren strategischen Verhaltensweisen politischer Parteien. Um größere Wahlerfolge zu erzielen, verschiebt man die Aufmerksamkeit der Wähler*innen auf für einen selbst vorteilhafte Themen. Denn was bei der zweiten TV-Debatte in vergleichsweise salonfähiger Sprache präsentiert wurde, war freilich nicht weniger strategisch motiviert. Realistisch betrachtet befinden sich schließlich beide Parteien im Wahlkampf. Daher ist es als positiv einzuordnen, dass an Inhalten und Professionalität prinzipiell mehr geboten wurde, als im ersten Duell. Nichtsdestominder resultierten die negativen Aspekte weiterhin aus dem Mangel einer authentischen, interaktiven Diskussion. In beiden Fällen erlaubten das gewählte Format sowie die Moderation den Kandidaten strategische Narrenfreiheit, die häufig in Streit ausartet. Vor diesem Hintergrund ist ein der Salienztheorie entsprechendes Verhalten die einzig logische Konsequenz – wieso auch nicht?

Das dritte und letzte direkte Aufeinandertreffen zwischen Republikanern und Demokraten am 22. Oktober macht also nur bedingt Hoffnung auf Besserung. Was sich die Zuschauer von Trump und Biden erwarten dürfen, wurde weitestgehend am 29. September ersichtlich. Die Fronten sind geklärt, sodass es zu einer Neuauflage des ersten TV-Duells kommen kann und bei gleichbleibenden äußeren Umständen auch wird. Bestenfalls mit einem Mehr an inhaltlicher Tiefe und freundlicheren Umgangsformen. Das in Aussicht gestellte Stummschalten der Mikrofone ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

So oder so sind es am Ende des Tages einzig und allein die Wähler*innen, denen es freisteht, ihre persönliche Meinung zu bilden und mit ihrer Stimme den Wahlkampf in seiner Gesamtheit zu quittieren.

David Bauer
David Bauer erlangte 2017 seinen Bachelor in Governance and Public Policy an der Universität Passau. Heute steht der Political Science Student unmittelbar vor seiner Masterarbeit an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten befasst er sich vorrangig mit (Rechts-)Populismus und der Analyse von Parteiprogrammen.

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