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S.E. Herr Beste, Sie sind seit 2019 deutscher Botschafter in Österreich. Wie haben Sie sich in Österreich eingelebt, und muss man sich als deutscher Botschafter in Österreich einleben?

Die Umstellung ist größer, als den meisten Deutschen oder Österreichern vielleicht bewusst ist. Dass wir beide eine Sprache sprechen, täuscht über die Unterschiede der beiden Länder hinweg. Ich würde von einem fortwährenden Eingewöhnungsprozess sprechen, um die Verhältnisse, die Kultur und die Kommunikation der Menschen auch nur annähernd so gut wie in meinem Land verstehen zu können.

Der oft als öffnende Lacher benutzte Satz von Karl Kraus, dass es zwei Nationen sind, die durch eine gemeinsame Sprache getrennt sind, hat eine tiefere Meinung: Die Trennung besteht darin, dass wir eine Vielzahl von „falschen Freunden“ in der Sprache erleben, bei denen man denkt, man meint das gleiche, aber eigentlich sind unterschiedliche Dinge gemeint. Das stellt mich vor eine Daueraufgabe beim wechselseitigen Erklären von Deutschland und Österreich.

Die deutsch-österreichischen Beziehungen haben natürlich eine sehr lange Tradition. Wie glauben Sie, haben sich die Beziehungen seit dem EU-Beitritt Österreichs in den letzten 25 Jahren verändert beziehungsweise entwickelt?

Das war für die Entwicklung Österreichs ein Moment, der absolut nicht zu überschätzen ist. Österreich hat sehr vom Fall des Eisernen Vorhangs profitiert, weil es aus einer Randlage an der östlichsten Kante des Westens plötzlich in die Zentrallage zurückfand, in der es gemäß der Geografie über Jahrhunderte war. Es war ja bloß eine Besonderheit des Kalten Krieges, dass Österreich für ein paar Jahrzehnte peripher lag.

Für Österreich hat sich also die geostrategische und auch die wirtschaftliche Lage mit dem Fall des Eisernen Vorhangs dramatisch verbessert hat. Darauf folgte der zweite wichtige Schritt, der Beitritt in die Europäische Union. Der dritte, nicht weniger wichtige Schritt bestand in der Aufnahme der ost- und mitteleuropäischen Staaten in die EU. Dadurch erschlossen sich für Österreich weitere wichtige Wege und Märkte.

Österreich hat vor allem dank der EU in den letzten 30 Jahren ein großes geostrategisches Glück erlebt. Dadurch hat sich sein Wohlstand dramatisch erhöht. Es hat Österreich übrigens auch geholfen, seine doch sehr starke Abhängigkeit von Deutschland etwas zu diversifizieren. In den 90er Jahren hat Österreich über die Hälfte, wenn nicht gar zwei Drittel seines Handels mit Deutschland abgewickelt, erst nur mit Westdeutschland, später dann mit dem vereinigten Deutschland.

Man sollte dennoch nicht vergessen, dass der Außenhandel mit Deutschland noch immer 35% des österreichischen Handels ausmacht, gefolgt von Italien mit sechs Prozent. Die Bedeutung Deutschlands ist in diesem Zusammenhang noch immer überragend, aber nicht mehr ganz so einseitig.

Die deutsch-österreichischen Beziehungen stehen in der Coronakrise derzeit vor großen Herausforderungen, vor allem auch aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen miteinander. Die beiden Staaten sind von den gegenseitigen Maßnahmen stark betroffen, das betrifft insbesondere den Pendlerverkehr, die Grenzbestimmungen und die Wirtschaft allgemein. Wie könnte Ihrer Meinung nach die Perspektive für die nächsten Monate aussehen?

Die Probleme sind mit der Pandemie gekommen und sie werden auch erst mit dem Ende der Pandemie gehen. So einfach ist das. Wir haben mehrere Phasen in dieser Krise erlebt, in denen es öfters Diskussionen darüber gegeben hat, was das alles über das Verhältnis aussagt. Ich sage aber, es hängt nicht an den Beziehungen, sondern an den Infektionszahlen. Die Grenzkontrollen im März und April 2020 wurden – weder von Österreich noch von Deutschland – eingeführt, weil wir Probleme miteinander hatten, sondern weil wir Probleme mit der Verbreitung des Virus hatten. Auch die Reisewarnung, die wir im September und Oktober vergangenen Jahres ausgesprochen haben, hatte mit dem Infektionsgeschehen und der Sorge vor einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus in Deutschland zu tun.

Ich habe in Österreich immer wieder vernommen, dass man das persönlich genommen und sich gefragt habe, warum wir ihnen das antun würden. Meine ständige Entgegnung darauf war: „Wir müssen das gerade sehr vielen anderen Ländern antun.“ Tatsächlich wurde von vielen anderen Ländern sorgfältig beobachtet, ob wir nicht umgekehrt gerade unseren Nachbarn Österreich besser behandeln würden.

Unsere große Herausforderung ist es doch, unter diesen Pandemiebedingungen die Nerven zu behalten, Dinge nicht persönlich zu nehmen und sich auf die Bekämpfung des Virus zu konzentrieren.

Wie würden Sie die Rolle Österreichs in der EU einordnen?

Österreich ist ein mittelgroßes, wohlhabendes und exportorientiertes Land mitten in der EU. Es zählt gewissermaßen zur gehobenen Mittelschicht in der Europäischen Union: Von seiner Einwohnerzahl her liegt es ungefähr im EU-27 Schnitt, die Wirtschaftskraft liegt im oberen Drittel.

In Österreich wird manchmal unterschätzt, dass es von anderen nicht als kleines Land wahrgenommen wird. Ich versuche immer noch zu verstehen, warum man sich selbst als klein bezeichnet. Wenn Sie die acht Nachbarn Österreichs anschauen, von denen sind drei eindeutig kleiner, nämlich Liechtenstein, Slowenien und die Slowakei. Drei Staaten – die Schweiz, Tschechien und Ungarn – sind in etwa gleich groß, und nur zwei sind deutlich größer. Warum man aus österreichischer Sicht nur auf die Großen schaut und dann sagt, man sei klein?

Als zentraler gelegener Staat und wirtschaftlicher Exporteur profitiert Österreich wie wenige andere von der starken Integration der EU. Österreich verdankt seinen Wohlstand zu einem guten Teil dem Außenhandel – übrigens weniger mit China oder Vietnam, als mit den EU-Mitgliedsstaaten im Binnenmarkt. Deshalb hat es genauso wie Deutschland ein überragendes Interesse am Erhalt dieses Binnenmarktes.

Eines der dominierenden Themen der letzten Jahre ist die Migrationspolitik, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Dennoch gibt es hier keine gemeinsame europäische Linie. Es gibt zwar Ansätze, aber man kann sich zu keiner gemeinsamen Linie einigen. Zum einen, glauben Sie, man kann eine gemeinsame Politik finden? Zum anderen, wie würde die deutsche Vision dieser Lösung aussehen?

Wir haben während der deutschen Präsidentschaft wieder versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden, und haben festgestellt, dass es auch für das größte Mitgliedsland in einer zentralen Lage nicht so leicht ist. Wir haben leichte Fortschritte gemacht und das Diskussionsfeld besser ausgeleuchtet, aber die Differenzen sind noch immer da. Um es salopp zu sagen, es gibt leider auch ein gehöriges Maß an relativ eigennützigen Standpunkten. Jeder einzelne Standpunkt mag für sich verständlich sein, aber eine Einigung wird nur möglich sein, wenn alle bereit sind, ihre Positionen etwas zu räumen.

Leider sind das häufig auch innenpolitische Diskussionen. Fast jede Regierung hat eine Position, die für sie zentral zur Legitimation des eigenen Regierungsanspruchs ist. Das macht es umso schwerer, von den Positionen abzurücken.

Gleichzeitig haben wir nicht zu leugnende geographische und wirtschaftliche Interessensunterschiede. Die Staaten des Südens sind die, die als erstes die Wucht etwaiger Migrationsbewegungen spüren, und die sind wenig bereit, über mehr Schutzmaßnahmen und Abwehr zu reden, solange nicht auch über die Verteilung innerhalb der EU anders diskutiert wird. Die Staaten im Norden sind zwar weiter weg, gleichzeitig aber oft die attraktiveren Migrationsziele. Da beißt sich die Katze immer wieder in den Schwanz. Es ist ein erstaunliches Phänomen, dass es hier keinen Fortschritt gibt, aber das hängt für mich mit der engen Verflechtung der innen- und europapolitischen Positionierung zusammen.

Ich warte diesbezüglich von vielen Ländern noch immer auf Vorschläge, die auch das europäische Gesamtinteresse zu schattieren versuchen. Es ist ein Wettbewerb der Ideen, der noch immer läuft und der jeden Impuls vertragen könnte – natürlich auch einen österreichischen.

Eines der wesentlichen Themen ist die Finanzpolitik auf europäischer Ebene mit der großen Diskrepanz zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern. Hier gab es unterschiedliche Ansätze, etwa von den „Sparsamen Vier“, zu denen auch Österreich gehört. Ist es Ihrer Meinung nach möglich, hier einen Kompromiss zu finden?

Unter anderem die Niederlande fordern, dass die Zahlungen an gewisse Bedingungen – etwa Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – geknüpft werden. Wenn man aber nach Ungarn blickt, sieht man diesbezüglich gewisse Defizite. Zum einen, lässt sich ein Kompromiss finden, und zum anderen, sollten die Nettozahlungen an gewisse Standards geknüpft werden?

Fangen wir erstmal damit an: Es hat eine Einigung gegeben. Wir haben unter deutscher Präsidentschaft ein historisches Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro geschnürt. Eine Einigung war also möglich.

Es ging ja nicht darum, Geld einfach so zu verteilen. Neben dem routinemäßig anstehenden Haushalt ging es ganz konkret um Corona-Hilfen. Deutschland und Frankreich haben hier gesagt, es muss etwas geschehen, um die stärker betroffenen Staaten zu unterstützen. Diese Notwendigkeit hat niemand in Frage gestellt, auch nicht die „Frugal Four“. Die Sparsamen Vier haben dann Qualifikationen eingebracht, wie die Verteilung von Zuschüssen und Darlehen geregelt und die eigene Finanzlast durch Rabatte gedeckelt oder gesenkt werden könnte. Alles legitim, aber im Prinzip gab es nie eine Diskussion über das Ob, sondern nur über das Wie. Das hat auch die österreichische Regierung immer klargemacht.

Deutschland und Frankreich haben sich in gewisser Weise exponiert, indem sie einen Vorschlag gemacht haben. Dann hat man über die Art der Lösung geredet. Auch beim Gipfel wurde nie darüber diskutiert, ob man ein Hilfspaket braucht oder nicht, sondern alle haben die Notwendigkeit gesehen, wollten aber ihre Interessen dabei gewahrt wissen. Grosso modo ist das auch ganz gut rausgekommen.

Die EU ist ein fantastisches Modell für das zivilisierte Zusammenleben der Völker, um das uns viele Menschen in aller Welt beneiden. Dazu werden weite Teile der staatlichen Souveränität vergemeinschaftet, und ein immer breiterer und verbindlicherer Korridor an Werten und Vorstellungen wird vorgegeben. Die EU baut nicht auf dem freien Spiel der Kräfte, nicht auf Größe oder Macht, sondern auf Prinzipien und Werten auf. Dennoch prallen die unterschiedlichen Interessen von Staaten aufeinander. Sie tun das aber immer am Verhandlungstisch, gelegentlich auch in Zeitungsüberschriften. Aber nicht mehr auf dem Schlachtfeld. Das ist doch eine zivilisatorische Leistung!

Wie gesagt, wir streiten uns, zum Beispiel über die Rechtsstaatlichkeit in unseren Mitgliedsländern. Die Freiheit und Unabhängigkeit der Justiz und der Medien gehören zum gemeinsamen Wertekanon der europäischen demokratischen Rechtsstaatlichkeit. Die Diskussion darüber läuft gerade, und zwar durchaus in der Härte, die ihrer Bedeutung angemessen ist.

Die große Frage, die sich für Europa stellt, ist aber vielleicht auch die nach dem Zusammenhalt. Es gibt einen schönen Satz von Benjamin Franklin aus der Gründungsphase der Vereinigten Staaten von Amerika: „We must, indeed, all hang together or, most assuredly, we will all hang separately”. Global betrachtet sind die Größenunterschiede zwischen Deutschland und Österreich marginal; neben China und Indien sind wir alle klein. Unsere einzelne beste Chance ist, nicht einzeln zu hängen, sondern gemeinsam.

Deswegen ist der Zwang zu Einstimmigkeit in der EU in wichtigen Fragen auch wichtiger, als das Viele leichthin behaupten. Manchmal ist der Druck zur Einstimmigkeit eigentlich ein sehr heilsamer. Er verlangsamt zwar Vieles und macht einiges unmöglich, aber er sichert oftmals Einigkeit. Schauen Sie sich an, was die Konflikte in der Migrationsdebatte schlagartig verschärft: eine heikle Abstimmung, in der einige Staaten überstimmt wurden. Diese Verstimmung trägt die EU immer noch mit sich rum.

Wir würden nun gerne weiter auf die europäische Außenpolitik eingehen. Eines der wesentlichen europäischen außenpolitischen Themen ist das Verhältnis zur Türkei, welches etwas kompliziert ist. Vor allem in den letzten Jahren mehrten sich die Konflikte der Türkei mit EU-Staaten, etwa Griechenland und Zypern. Die Türkei selbst führt seit 2005 EU-Beitrittsgespräche. Wie bewerten Sie den Stand der Beitrittsgespräche und zweitens, wie bewerten Sie die demokratiepolitische Entwicklung der Türkei?

Der Umgang mit der Türkei ist ganz besonders wichtig. Über einen Beitritt reden wir derzeit nicht. Aber was wollen wir von unserem Nachbarn und Partner? Wenn die Türkei in einem Konflikt mit einem EU-Mitgliedsstaat wie zum Beispiel Griechenland steht, ist es völlig logisch, dass wir auf der Seite unseres EU-Partners stehen. Das andere aber ist die Frage, wie die EU mit der großen Mittelmacht in unmittelbarer Nachbarschaft umgeht, mit der wir übrigens ein umfassendes Abkommen über Flüchtlingsrückkehr haben, die ein wichtiger NATO-Partner ist und enge persönliche, kulturelle und wirtschaftliche Bindungen an die EU hat. Deutschland und Österreich sind Staaten, die beträchtlich türkische oder türkischstämmige Gruppen in ihrem Land haben. Das sind keine Fragen, die allein nach den Maßstäben einer Außenpolitik des 19. Jahrhunderts zwischen den Kabinetten entstehen, sondern im grellen Licht der Öffentlichkeit.

Einfache Lösungen gibt es dazu nicht. Es ist immer wichtig sich zu fragen, was man mit den gegebenen Instrumenten erreichen kann, und was man durch deren Einsatz bekommt. Mit einem endgültigen Schluss der EU-Beitrittsverhandlungen etwa würden sich viele vielleicht für einen Moment besser fühlen. Aber geben wir damit nicht auch Optionen für die Zukunft aus der Hand? Moralische Entrüstung, das Abbrennen von Brücken führt uns nicht so viel weiter. Ein kühler Kopf wäre hier manchmal ein ganz guter Ratgeber.

Die Beziehungen zwischen der EU, Deutschland und Russland sind ebenso kontrovers, aber wichtig, vor allem in der Energie- und Sicherheitspolitik. Russland hat im europäischen Gefüge sehr lange eine aktive und zentrale Rolle gespielt, mittlerweile herrscht in den Beziehungen aber Eiszeit. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Die Gründe liegen im Wesentlichen in Russland. Die Bereitschaft der EU und auch der NATO zum Dialog und zu einer engeren Zusammenarbeit waren immer da. Gerade Deutschland hat sich enorm darum bemüht, über verschiedene Projekte auch strategischer Art einen möglichst engen wirtschaftlichen und politischen Austausch mit Russland zu suchen. Russland hat aber durch Worte und Taten mehrfach deutlich gemacht, dass das Interesse daran begrenzt ist. Und schlimmer noch: Die illegale Annexion der Krim und die Einmischung in der Ostukraine werden wir nicht akzeptieren, genauso wenig wie wir Cyberangriffe auf westliche Einrichtungen oder die gezielte Vergiftung von sogenannten Staatsfeinden ohne Reaktionen hinnehmen. Die einschlägigen Sanktionen der EU legen davon Zeugnis ab.

Trotz der komplizierten Beziehungen gibt es die Bereitschaft für gemeinsame Projekte, etwa in Wirtschaft und Wissenschaft, nicht zuletzt auch hinsichtlich des Covid-Impfstoffs. Welche Ansätze verfolgt hier die deutsche Bundesregierung?

Wir kooperieren, wo es möglich ist. Das gehört zur sogenannten diplomatischen Gelassenheit, dass man nicht aufgrund eines gravierenden Konflikts in einem Bereich in allen anderen Bereichen nicht mehr kooperiert. Ich glaube, dass Russland weiterhin ein interessanter wirtschaftlicher Markt ist, als Energieversorger ein verlässlicher Partner sein kann, und dass Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats ein Akteur beispielsweise zur Sicherung der nuklearen Nichtverbreitung und des Atomabkommens mit dem Iran ist. Trotz des Ausstiegs der USA aus diesem Abkommen, konnte es am Leben gehalten werden – auch dank der Kooperation Russlands und Chinas.

Allgemein gesprochen, wird die EU immer wieder dafür kritisiert, keine aktive Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Vor allem Deutschland bekam dabei viel Kritik ab, eine passive Rolle einzunehmen. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Kritik sollte man immer etwas abgewinnen, im eigenen Interesse. Aber was Sie auch nicht vergessen sollten: Deutschland hat seit 20 Jahren Truppen in Afghanistan stationiert, beteiligt sich am Kampf gegen den Islamistischen Terror in der Sahelzone und hat derzeit knapp tausend Soldaten in Mali. Zu sagen, Deutschland würde nichts tun, ist weit hergeholt.

Man sollte auch nicht unterschätzen, dass Deutschland – um nochmal das Russland-Thema aufzugreifen – Panzerbataillone an der NATO-Außengrenze in Litauen stationiert hat, um seine Verbündeten zu verteidigen. Das heißt, wir sind sicherheitspolitische weiß Gott nicht zahnlos. Dass man immer mehr machen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Wir versuchen dabei zugleich, die EU als internationalen Akteur zu stärken, nicht nur bei den Einsätzen in Afrika. Wir haben in den letzten Jahren – das habe ich in meiner früheren Position als Leiter des Planungsstabs unterstützt – mit unseren EU-Partnern viel über europäische Souveränität gesprochen, und was sie uns wert ist. Da geht es eben nicht nur um die Frage, ob man Militär irgendwohin transportieren kann, sondern auch um die Investitionen in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit der EU gegen immer neue Herausforderungen unseres „Way of Life“ – ob das Sanktionen oder Anschläge, Hacks oder Propaganda sind.

Auch unsere Initiativen zur Stützung der von Covid am meisten betroffenen EU-Mitglieder und die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen sind Investitionen in den Zusammenhalt und die Souveränität der EU. Vielleicht sind die Investitionen Deutschlands in den Zusammenhalt und den Wohlstand der EU unser wichtigster Beitrag zur weltpolitischen Zukunftssicherung. Wir profitieren auch davon, das ist keine selbstlose Tätigkeit, aber wir sind bereit, uns dafür massiv zu engagieren.

Die nächste Ebene besteht aus einem Spektrum an Maßnahmen. Ich würde zum Beispiel unter der Weltpolitik-Fähigkeit im Sinne einer europäischen Souveränität auch sehen, dass wir versuchen, in einer Situation, in der das Welthandelssystem in schwieriger Lage ist, bereit sind internationale Handelsverträge abzuschließen. Dazu gehört aber auch, dass in der EU das Bewusstsein dafür wächst, dass man die Welt nicht allein nach dem eigenen Vorbild gestalten kann, und dass zu einem Vertrag auch Kompromissfähigkeit zählt. Das ist insbesondere bei Handelsverträgen extrem schwierig, sowohl mit den USA bei TTIP als auch bei CETA mit Kanada und jetzt noch mit MERCOSUR mit Staaten des südlichen Südamerikas. Es geht bei diesen Verträgen nicht nur um landwirtschaftliche und ökologische Fragen, sondern auch um die geostrategischen Interessen des politischen Akteurs EU.

Wir würden nun gerne noch einmal über die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich sprechen. Diese sind vielschichtig miteinander verwoben, etwa in der Wirtschaft, im Tourismus, aber auch im bildungspolitischen Bereich, insbesondere bei den Universitäten. Es gibt eine große Gruppe an deutschen Studierenden in Österreich, insbesondere in Salzburg, die aufgrund des Numerus Clausus hier studieren. Sehen Sie das als Problem für Österreich, etwa Medizinstudium mit überproportional vielen deutschen Studierenden, und gibt es Verbesserungspotential?

Ich wünsche mir eigentlich, dass innerhalb der EU die Frage, aus welcher Staat eine Bürgerin oder ein Bürger kommt, kein Thema wäre. Das ist es auch nur noch selten, aber es stimmt auch, dass die Unterschiede zwischen Deutschen und ÖsterreicherInnen hörbar sind. Wenn ich in Wien beim Bäcker „Guten Tag“ sage, weiß schon jeder, dass ich Deutscher bin. Warum sollte das also an einer Universität anders sein?

Ich bin überzeugt, dass deutsche Studierende in Österreich sehr willkommen sind, habe aber auch Verständnis, wenn es dem einen oder anderen Mal zu viel wird. Ich halte das für eine sehr menschliche Reaktion – auch wenn ich mir wünschen würde, dass es nicht so wäre. Es gibt in bestimmten Fällen im Rahmen der europäischen Gesetzgebung dann auch Möglichkeiten, entgegenzusteuern –  etwa mit einer Quotenregelung für Studierende in bestimmten Fächern. Es sollte uns aber zu denken geben, dass wir so etwas heutzutage noch für ein Problem halten. Ich würde mir insgesamt mehr Selbstverständlichkeit wünschen, bin aber auch Realist genug um zu erkennen, dass hier noch eine Menge zu machen ist.

Deutsche TouristInnen sind in Österreich sehr willkommen, vor allem in Salzburg, Tirol und Wien. Österreich bekommt natürlich aufgrund der Corona-Maßnahmen die Folgen zu spüren. Wann könnten sich Ihrer Meinung nach die Länder in puncto Tourismus wieder hin zu einer Parität bewegen?

Auch das hängt von den Zahlen ab. Das Thema ist in letzter Zeit etwas untergegangen, weil niemand mehr reiste und Österreich dieselben Quarantäneregeln verhängte wie Deutschland. Die deutschen Regeln sind an sich relativ klar. Risikogebiete sind Länder, in denen die 7-Tage-Inzidenz über 50 pro 100.000 Einwohnern liegt. Als wir diese Regel im vergangenen Herbst angewandt haben, gab es viele Diskussionen darüber, ob diese Zahlen angemessen sind. Dass das eigentlich nur der äußerste Alarmwert ist, war in der innerdeutschen Diskussion aber immer klar.

Der Übergang zurück in die alte Normalität des Reisens ist derzeit noch schwer vorstellbar; er hängt sehr stark vom Impffortschritt ab. Aber wie ich eingangs gesagt habe: Die Probleme sind mit der Pandemie gekommen und sie werden mit dem Ende der Pandemie auch wieder gehen – das gilt auch für die Reisewarnung. Einen sorgenfreien Tourismus mit dem Virus halte ich für schwierig. Aber das muss in den betreffenden Ländern angegangen werden.

Sie haben bereits angesprochen, es gibt offenbar Unterschiede in Sprache und Mentalität unserer beiden Länder. Haben Sie dazu ein Beispiel?

Letztens habe ich versucht, dass in einem Fernsehinterview mit einem Beispiel zu erläutern. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das gewirkt hat, versuche es aber gerne nochmal:  Deutsche und Österreicherinnen meinen vollständig unterschiedliche Dinge, wenn sie über das „Deutsche Eck“ sprechen. Keiner weiß das über den anderen. Ich habe meinen Sohn in Berlin gefragt, ob er dort bei Wikipedia bitte „Deutsches Eck“ eingeben könnte. Er sah dann Fotos von der Mündung der Mosel in den Rhein bei Koblenz – das ist für Deutsche das Deutsche Eck. Wenn ich das Gleiche in Wien am Computer eingebe, sehe ich eine Karte der Straßenverbindung Salzburg-Tirol. Davor habe ich noch nie von diesem anderen Deutschen Eck gehört, und ich habe fast noch keinen Österreicher getroffen, der wusste, dass das Deutsche Eck in Koblenz ist. Wir Deutsche sind uns sicher, wo das Deutsche Eck ist, und die ÖsterreicherInnen auch. Die wenigstens wissen über diesen Unterschied Bescheid und das ist bei zwei Ländern, die so eng miteinander verwoben sind, schon faszinierend.

Zum Abschluss, was finden Sie in oder an Österreich besonders schön, und können Sie Österreich mit einem Wort beschreiben?

Schön. Ja, Österreich ist wirklich schön. Außerdem beeindruckt mich immer wieder, wie stolz die ÖsterreicherInnen auf diese Schönheit sind. Darum beneide ich Österreich: nicht nur um die Schönheit, sondern auch um das Bewusstsein der Schönheit.

Wir bedanken uns bei Botschafter Ralf Beste für das Gespräch.

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