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Prof. Michael Finus
Michael Finus ist Professor für Klima- und Umweltökonomie an der Universität Graz. Zuvor war er an verschiedenen Universitäten in Großbritannien und Deutschland tätig. Er war Hauptautor des 5. Sachstandberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Arbeitsgruppe III, der 2014 veröffentlicht wurde.

Herr Professor Finus, in den letzten Wochen haben wir in den Medien viel über neue Klimaschutzzusagen gelesen. Joe Biden hat angekündigt, dass die USA ihre Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 50-52 Prozent reduzieren möchte. Die EU will im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent weniger emittieren. Es gibt für die Staaten eine gewisse Flexibilität in der Formulierung solcher Ziele, was den Vergleich erschwert. Gibt es Bestrebungen, die Vergleichbarkeit zu verbessern?

Der Versuch ist da, gleiche Metriken zu verwenden. Allerdings sind die Zusagen im Rahmen des Pariser Abkommens freiwillig. Im Prinzip schlägt jeder Staat vor, was er machen würde. Manche mehr, andere weniger. Natürlich versucht dann jeder, sein Ziel durch das selbstgewählte Basisjahr schönzurechnen. Es ist ein Unterschied, ob ich zehn Prozent gegenüber 2005 oder gegenüber 1990 reduziere. Zusätzlich gibt es dann auch noch die Debatte um die Waldaufforstung und wie sehr man dies hinzurechnen darf.

Vor dem Pariser Abkommen gab es das Kyoto-Protokoll, das war der Klassiker. Eine Art top-down-Ansatz einiger Staaten, die sich als die Guten betrachteten und etwas gegen den Klimawandel unternehmen wollten. 38 Staaten waren dabei. Es gab auch einen Sanktionsmechanismus. Dieser funktionierte zwar nicht, aber immerhin war er da. Beim Paris Abkommen gibt es diesen nicht mehr.

Halten sich die Staaten nicht an ihre Klimaschutzzusagen, werden sie bestenfalls öffentlich an den Pranger gestellt, was im Englischen mit „name and shame“ bezeichnet wird.

In der Spieltheorie spricht man von einem „Modesty-Ansatz“ oder „Consensus-Ansatz“. Die Idee ist, nicht mehr anspruchsvolle Ziele mit wenigen Teilenehmerstaaten durchzusetzen, sondern moderate Ziele, die dafür aber von mehr Staaten getragen werden. Da internationale Umweltabkommen auf Freiwilligkeit beruhen, gibt es keinen Sanktionsmechanismus, um Mitgliedschaft einzufordern beziehungsweise rechtlich verbindlich zu machen. Halten sich die Staaten nicht an ihre Klimaschutzzusagen, werden sie bestenfalls öffentlich an den Pranger gestellt, was im Englischen mit „name and shame“ bezeichnet wird. Man hat hier nur die Möglichkeit, alles publik zu machen und zu hoffen, dass sich die betroffenen Staaten „schlecht fühlen“ und sich deshalb in der Zukunft besser verhalten.

Könnte man versuchen, die einzelnen Ziele in eine standardisierte Form zu bringen und diese dann in den Medien verbreiten?

Sie müssen wissen, es gibt nicht nur Emissionsreduktionsziele, sondern auch Emissionsintensitätsziele. China hat etwa auf ein Intensitätsziel bestanden. Das bezieht sich auf die CO2-Emissionen pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts. Dadurch können die absoluten Emissionen sogar steigen, sofern die Wirtschaft wächst.

Das kann man sich so vorstellen: Früher fuhren sie ein kleines Auto, mittlerweile ein doppelt so großes. Dieses große Auto verbraucht relativ zur bewegten Masse weniger Benzin, absolut trotzdem mehr. Damit haben sie absolut immer noch einen höheren Verbrauch – auf die Größe des Autos gesehen sind sie aber sparsamer unterwegs.

China verbessert seine Energieintensität kontinuierlich. Gleichzeitig erhöhen sich aber die absoluten CO2-Emissionen, weil die Wirtschaft so stark wächst. Mit einem Intensitätsziel schaffen sie es trotzdem, nach außen hin gut dazustehen. Bei freiwilligen Abkommen ist so etwas möglich. Grundsätzlich kann man sich fragen, was besser funktioniert: ambitionierte Ziele einiger weniger oder moderate Ziele und fast alle sind an Bord?

Kyoto hat jedenfalls nicht sehr gut funktioniert, die Emissionen sind trotzdem weiter gestiegen. Ein kurzer Exkurs zur Eurozone: Als der Euro als neue Währung eingeführt wurde, hat Deutschland auf schärfere Defizitätskriterien bestanden, diese aber als erster Staat nicht mehr eingehalten. Ohne Sanktionen sind die Kriterien jedoch zahnlos. Wenn nun Deutschland als angeblicher Musterknabe davon abweicht, brauchten sich auch andere Staaten nicht daranhalten. Natürlich fragt man sich: Warum haben die anderen Staaten nicht auf eine Bestrafung bestanden? Ganz einfach: Sie hofften auf Milde, falls sie einmal die Defizitkriterien verletzen würden. Damit verliert aber die Androhung von Sanktionen ihre Glaubwürdigkeit – wird also ein „stumpfes Schwert“.

Generell gibt es folgendes Dilemma in der internationalen Politik: Je härter die Sanktionsmaßnahmen, desto weniger Staaten werden einem Abkommen beitreten. Beim Pariser Abkommen hat man versucht, möglichst viele Staaten in das Abkommen zu bekommen, weshalb man auf Sanktionen von Anfang an verzichtet hat. Die vorgeschlagenen Ziele im Pariser Abkommen werden aber trotzdem nicht für das 2-Grad-Ziel reichen, geschweige denn für 1,5 Grad Erwärmung, selbst wenn sich alle Staaten an die von ihnen vorgeschlagenen Ziele halten, was eher unwahrscheinlich ist. Wir steuern mit den neuesten Zielen auf 2,4 Grad zu. Das wird nicht reichen, und einige Staaten werden auch nicht ihre Ziele einhalten. Man muss hier nachlegen, also hofft man auf ein Momentum, wie etwa das verschärfte Ziel der Europäischen Union. Aber jeder Politiker kann heutzutage leicht CO2-Neutralität bis 2050 zu versprechen. Bis dahin sind sie alle nicht mehr im Amt.

Aber jeder Politiker kann heutzutage leicht CO2-Neutralität bis 2050 zu versprechen. Bis dahin sind sie alle nicht mehr im Amt.

In Deutschland hat die Regierung den Emissionsminderungs-Pfad bis 2030 spezifiziert und gemeint, danach könnte man weitersehen. Einige Umweltverbände haben daraufhin beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht, und dort wurde entschieden, dass die Regierung den kompletten Plan bis 2050 für alle Sektoren aufstellen muss. Begründet wurde dies damit, dass es um den Lebensraum der jungen Generation geht und man wissen müsse, wie es danach weitergeht, damit nicht am Ende gar nichts passiert oder die junge Generation überproportionale Lasten der Emissionsvermeidung tragen muss. Jetzt muss nachgelegt werden. Die deutsche Regierung muss festlegen, was zwischen 2030 und 2050 passieren wird.

Wenn sie den Pfad festlegen und dieser vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wird, dann kann das von der Bevölkerung eingeklagt werden. Mittlerweile reichen immer mehr Privatpersonen Klagen gegen Konzerne wie Shell ein, die die Umwelt schädigen. Nicht immer sind diese Klagen erfolgreich, aber manche schon. Diese Art von Bottom-up-Ansätzen ist ein nicht zu unterschätzender und vielversprechender Weg für die Zukunft.

Man kann also sagen, dass in Deutschland ein Präzedenzfall geschaffen wurde?

Das kann man. Jetzt kann nicht mehr bloß darüber gesprochen werden, was nach 2030 passiert, sondern es muss genau festgelegt werden. Deshalb sind ja nun auch alle Parteien grün und springen auf diesen Zug, nicht nur die Grünen. Die einen reden nur mehr von der Umwelt. Die anderen sagen, man müsse Wirtschaft und Umwelt in Einklang bringen. Aber dieser Verzögerungstaktik wurde nun ein Riegel vorgeschoben. Gut so!

Wie erwähnt gibt es anders als im Kyoto-Protokoll im Pariser Abkommen keine Bestrafungsmechanismen. Könnte es solche in Zukunft geben?

Ich glaube nicht. Man hat Angst davor, dadurch den Anreiz zur Teilnahme am Pariser Abkommen eher zu reduzieren. Aber es ist schwer zu sagen. Vermutlich war es clever, in Paris erstmal moderat anzufangen, um ein Momentum zu kreieren – der Ansatz beim Kyoto Protokoll hat ja nicht funktioniert. Nun muss man schauen, dass einige Staaten eine Vorreiterrolle übernehmen, sodass das Momentum verstärkt wird.

Ich habe mir vor längerer Zeit einmal angeschaut, wie sich einige Umweltabkommen historisch entwickelt haben. Meist gab es erst eine Framework Convention, also eine Absichtserklärung. Dann wurde es konkreter, etwa mit dem Kyoto-Protokoll oder dem Montreal-Protokoll. Bei letzterem gibt es eine schöne Übersicht über die Folgeabkommen. Jedes dieser Abkommen war dann schärfer hinsichtlich der Emissionsminderungsziele

Aber mit weniger Teilnehmern?

Einige Folgeabkommen hatten weniger Teilnehmer, da es keine Verpflichtung gab, das follow-up Protokoll zu unterzeichnen. Aber man sieht dennoch, dass die Teilnehmerzahl mit der Zeit stetig stieg.

Mit dem Pariser Abkommen gab es dann einen Paradigmenwechsel. Das Kyoto-Protokoll hatte zuerst eine Phase 1 von 2008-2012. In der Phase 2 von 2013-2020 war die Idee, neue und verschärfte Ziele zu vereinbaren. Das ist nicht gelungen. Es gab viele erfolglose Klimakonferenzen. Alle waren enttäuscht, speziell in Kopenhagen. Danach kam Paris.

Ich denke, wenn die Big Players wirklich ernsthaft etwas machen, dann wird sich auch etwas ändern. Neue Technologien werden aufgrund von Innovationen immer günstiger. Erneuerbare Energien sind teilweise schon günstiger als Öl. Alles ist eine Frage relativer Preise in einer Marktwirtschaft.

Bisher haben wir nur über top-down Ansätze in der internationalen Klimapolitik gesprochen. Aber die Konsumenten sind extrem mächtig und wichtig für einen Bottom-up Ansatz. Wenn Konsumentinnen und Konsumenten nur noch grüne Produkte nachfragen und andere Produkte nicht mehr kaufen, dann wird es nur noch grüne Produkte geben. Wo eine Nachfrage ist, wird sich das Angebot in einer Marktwirtschaft schnell ergeben. Aber der Produktmarkt ist noch sehr intransparent. Es ist Aufgabe des Staates, Informationen über die Qualitätsstandards einzelner Produkte nach derzeit bestem Wissen allen zugänglich zu machen. Bei elektrischen Produkten macht man das ja mit den Energieeffizienzkategorien, die von A bis G gelistet werden. Transparenz ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung, dass ich mich grün entscheide. Es ist wichtig, dass auch jene Konsumenten, die weniger umweltbewusst sind, durch ein einfaches Ampelsystem sehen, welche Produkte ökologisch besser oder schlechter sind. Viele Staaten versagen hier komplett. Es wäre die Aufgabe des Verbraucher- und Umweltministeriums, diese Transparenz herzustellen.

Transparenz ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung, dass ich mich grün entscheide.

Ein weiteres Thema sind die Plastikverpackungen. Darüber wird schon ewig in der Europäischen Union diskutiert. Es braucht eine klare und umfassende Besteuerung. Nur mehr die Vermeidung sollte sich lohnen, nicht mal mehr das Recyceln. Aber der politische Wille fehlt.

Klarerweise werden grüne Produkte im ersten Schritt teurer. Aber es ist auch klar, dass ein höheres Angebot auch zu fallenden Preisen führen wird. Bei Gemüse ist zum Beispiel der Preisunterschied zwischen konventioneller Ware und Bio-Produkten gar nicht mehr sehr groß. Auch die bessere Qualität und Haltbarkeit der Bio-Ware sollte nicht vergessen werden. Ich war lange Zeit in England, und dort ist meiner Erfahrung nach die Bio-Ware viel länger haltbar als die konventionelle Ware. Bei Fleisch ist der Unterschied noch viel größer, aber bei einer vernünftigen Reduktion des Fleischkonsums müssen die Ausgaben im Haushaltsbudget der Verbraucher nicht steigen.

Bei erneuerbaren Energien ist es ähnlich. Durch technologische Innovationen werden diese immer günstiger. Ich bin der festen Überzeugung: Wir haben mittlerweile alles, um die Klimakrise zu lösen – wenn wirklich der Wille da wäre.

Und wenn auch die Transparenz da wäre?

Ja, aber auch das setzt den Willen der Politiker voraus. Es wird immer einige „Umweltverschmutzer“ geben, die ihren SUV mit 20 Litern auf 100 Kilometer fahren, aber solch ein Verhalten wird zunehmend geächtet werden. Das wird dann eine Minderheit sein.

Ein Beispiel: Wenn Sie so aufwachsen, dass Sie nur zu McDonalds gehen und ich Ihnen ein gesundes und schmackhaftes Essen koche, dann schmeckt Ihnen das zunächst nicht. Sie sind es nicht gewohnt. Es sind in fast allen Produkten Zucker und andere Additive drin. Wenn Sie aber anders erzogen sind, dann fänden Sie solche Fertigprodukte furchtbar. Daher denke ich, dass dieses Umdenken kommen muss – es ist nur einer Frage der Erziehung, Überzeugung und auch klarer Transparenz. Nur so kann ein Konsument frei entscheiden. Bei vielen Produkten ist das extrem schwierig, etwa bei Schokolade. Sie können zwar Fair Trade kaufen, aber damit ist noch nicht alles gesagt. Ähnlich ist es bei Kleidung – viel zu intransparent.

In einigen Ländern wird derzeit ja angedacht, dass der Verkäufer für die gesamte Lieferkette seines Produktes verantwortlich ist. Das wird auch in Deutschland versucht, allerdings hat die Regierung das total verwässert. Natürlich gibt es das Argument, dass wir nicht für unsere Zulieferer verantwortlich sind. Auf der anderen Seite sind das aber wichtige Anreize. Die Unternehmen würden sich darum kümmern, dass alles ordentlich abläuft. Hier bin ich zur Abwechslung einmal gegen den Marktmechanismen. Es braucht eine klare Regulierung und Gesetzgebung.

Genauso sollte man Plastik enorm besteuern und die Zahl der verschiedenen Plastikarten muss ordnungsrechtlich eingeschränkt werden. Früher gab es eine Plastiksorte, mittlerweile sind sogar auf einer Plastikflasche mehrere Arten davon – dies erschwert das Recyceln immens. Aber wie bereits erwähnt: Auch Recycling ist nur eine „zweitbeste Lösung“, die erstbeste Lösung ist Vermeidung.

Insgesamt kann man derzeit sehr gut sehen, wie viel „FridaysforFuture“ bewegt hat. Diese Bottom-up-Ansätze helfen mittlerweile mehr, als auf internationale Abkommen zu warten. Klimaklagen sind ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Das führt uns natürlich zur Frage, ob Ökozid am Internationalen Strafgerichtshof als völkerrechtlicher Straftatbestand anerkannt werden sollte?

Klar, das wäre wichtig. Aber der Internationale Strafgerichtshof funktioniert auch nicht immer. Man muss mit kleinen Schritten zufrieden sein. Das kann frustrierend sein.

Besteht dennoch Grund zur Hoffnung?

Ja, denn der politische Druck „der Straße“ ist da. In vielen Ländern sehen Sie, dass sogar konservativere Politiker den Umweltschutz auf dem Schirm haben. Außerdem müssen wir uns fragen, was Lebensqualität bedeutet. Diese kann nicht darin bestehen, dass man unnötige Produkte konsumiert.

Unsere Handys sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir teils erst noch erzogen werden müssen. Einige kaufen sich jedes Jahr ein neues Handy. Dabei könnte man diese bei den meisten Herstellern reparieren oder ein Update installieren lassen. Wir müssen dem Drang widerstehen, immer das neueste Modell zu haben.

Elektronische Geräte werden leider selten repariert. Wer repariert noch seinen Küchenmixer? Dafür ist die Arbeitskraft zu teuer. Es müsste klar gesagt werden, dass Produkte langlebig produziert werden müssen. Zusätzlich braucht es bessere Reparaturmöglichkeiten. Reparieren muss relativ gesehen im Vergleich zum Neukauf günstiger werden. Daher muss man die Entsorgung entsprechend durch eine Steuer teuer machen. Wir haben auch alle technischen Mittel zur CO2-Neutralität, aber es fehlen nötige Schritte.

Wie sieht es mit dem CO2-Preis aus? Könnte uns dieser dabei helfen?

Über einen CO2-Preis von 300 bis 500 Euro pro Tonne würde die Wirtschaft anfangs zwar klagen, aber mit Border Carbon Adjustments, also einem Grenzsteuerausgleich, würde die Wirtschaft dies ohne internationale Wettbewerbsverzerrungen bewerkstelligen können. Die Wirtschaft schafft es immer. Sie ist enorm dynamisch und innovativ, es benötigt nur die entsprechenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – also einen CO2-Preis.

Mit einem CO2-Preis von 10 bis 15 Euro lohnen sich die Investitionen und umweltfreundliche Technologien nicht. Wenn Sie aber einen CO2-Preis von 300 Euro haben, dann sieht es ganz anders aus.

Mit einem CO2-Preis von 10 bis 15 Euro lohnen sich die Investitionen und umweltfreundliche Technologien nicht. Wenn Sie aber einen CO2-Preis von 300 Euro haben, dann sieht es ganz anders aus. Sie machen damit das Gut Umwelt teurer. Wenn es teurer wird, wird weniger davon verbraucht. So funktioniert unsere Marktwirtschaft nun mal.

Anfang Mai stieg der Preis der Zertifikate am Europäischen Emissionshandelsmarkt erstmals über 50 Euro. Denken Sie, dass mit dem Ende der derzeitigen Krise ähnlich als nach der Finanzkrise überschüssige Zertifikate bleiben, oder werden diese nun tatsächlich gebraucht?

Ich denke schon, dass sie mittlerweile wirklich gebraucht werden. Auch viele Unternehmen spekulieren damit. Das Emissionshandelssystem hat anfangs deshalb nicht funktioniert, weil der Preis fast bei null lag. Das Problem war, dass zu viele Zertifikate ausgegeben wurden. Mittlerweile funktioniert der Handelsmarkt hervorragend. Auch viele Kritiker sehen das inzwischen so. Allerdings ist klar, dass die Anzahl der Zertifikate mit der Zeit reduziert werden muss. Wenn sie einen konkreten Emissionsreduktionspfad haben, müssen sie auch die Zertifikate dementsprechend reduzieren. 2050 gibt es dann keine Zertifikate mehr.

Die Anzahl der Zertifikate wird jährlich aber nur um wenige Prozentpunkte reduziert. Ist das zu niedrig?

Das ist natürlich zu wenig, hier müsste man intervenieren. Letztendlich geht es den meisten leider zu schnell, und deshalb wollen sie es abdämpfen. Natürlich können wir nicht von heute auf morgen alles verschärfen. Aber wir können einen Pfad vorgeben, an dem sich die Wirtschaft orientieren kann – sofern dieser glaubwürdig ist und auch umgesetzt wird. Dann wird sich die Wirtschaft anpassen.

Wenn mehr auf erneuerbare Energien gesetzt wird, werden weniger Zertifikate gebraucht. Die Unternehmen versuchen dann, die teuren Emissionen zu vermeiden. Dieser Druck führt auch zu Innovationen. Man darf nicht alles dem Markt überlassen. Die Externalität muss entsprechend eingepreist werden – beziehungsweise müssen die Zertifikate entsprechend reduziert werden.

Ist im Zuge der COP26 mit Fortschritten in der Frage zu rechnen, inwieweit Aufforstungen in die Bilanz einfließen dürfen?

Staaten mit großen Waldflächen wie Russland haben natürlich ein Interesse daran, dass das so hoch wie möglich miteinbezogen wird. Aber man muss über einen längeren Zeitraum beobachten, wie viel CO2 ein spezifischer Wald wirklich bindet. Entscheidend ist auch, wie viel ich wann abholze und aufforste. Ich persönliche würde sogenannte Kohlenstoffsenken, also beispielsweise Wälder, nicht in die Klimabilanz einbeziehen.

Manche Staaten bestehen aber darauf. Ehrlicherweise ist das bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Ähnlich wie bei den Basisjahren versucht hier jeder, einen persönlichen Vorteil herauszuholen. Sie wollen alle gut dastehen, eigentlich aber nichts machen. Insbesondere im Vergleich zu den anderen Staaten.

Wir bedanken uns bei Michael Finus für das Gespräch.

Lukas Bayer
Lukas hat in Salzburg den Bachelor Philosophie, Politik und Ökonomie abgeschlossen. Seit Ende 2020 studiert er Global Studies an der KF Graz und beschäftigt sich vor allem mit ökonomischen und umweltspezifischen Themen, sowie mit Fragen sozialer Gerechtigkeit.

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