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Lieber Andreas, Du bist Podcaster, hast ein Buch geschrieben, moderierst, twitterst, hältst Vorträge und schreibst unter anderem für den Standard über den Klimawandel, globale Armut und Entwicklung. Haben wir hier etwas vergessen?

Ich könnte noch viel erzählen, aber das ist ein guter Überblick über das, was ich derzeit mache.

Für deinen Podcast ‚Erklär mir die Welt‘, der mit dem Ö3-Podcast-Award ausgezeichnet wurde, holst Du dir jede Woche neue Interviewgäste zu ausgewählten Themen. Was ist die Idee dahinter und wie kam es dazu?

Ich arbeite als Journalist beim Standard, einer Tageszeitung, und war der Meinung, dass viele Debatten in Qualitätsmedien sehr schnell sehr verästelt sind. Debatten über wichtige politische Reformen werden detailstreich geführt, wobei ich sehr oft als Journalist das Gefühl habe, dass die Hintergründe und Basics – egal, ob es um Ungarn, Orban und die Demokratie geht, um Polen oder um den Klimawandel – für die meisten Leute total unklar sind. Auch für mich. Ich wusste nicht, wie Ungarn historisch in diese Situation gekommen ist, bis ich eine Folge dazu gemacht habe.

Warum ist das so? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man bei einem Artikel immer abwägen muss, für wen man den schreibt; für Anfänger, oder um die Debatte weiterzutreiben etwa. Meistens kann man nicht davon ausgehen, dass die Leute gar nichts darüber wissen, denn dann kommt man nicht weit. Dadurch haben mir aber sehr oft die Basics gefehlt.

In den USA gibt es schon länger viele coole Erklärformate. Vox.com ist ein tolles Projekt, dass ich von Anfang an verfolgt habe. So ein Format wollte ich dann auch nach Österreich bringen.

Also mir hat so etwas als Konsument einfach gefehlt und als Journalist merkte ich, wie schwer die Abwägung zwischen Tiefe und Hintergrund ist. In meinem Erklärformat geh ich davon aus, dass die Leute zu diesen Themen noch nicht alles wissen und nicht täglich drei verschiedene Zeitungen lesen. Das ist die Idee dahinter.

An den Aufrufzahlen sieht man auch, dass es funktioniert. Wie wählst Du deine Gäste aus?

Sehr erratisch. Manchmal auf Vorschläge; mittlerweile bekomme ich viele von Hörer*innen. Am besten ist es, wenn mir Studierende schreiben, dass sie Professor*innen kennen, die sich auskennen und auch gut reden. Ansonsten lese ich viele und höre auch selber Podcasts. Da stolpere ich oft über interessante potentielle Gesprächspartner. Wenn mich ein Thema interessiert und ich nicht weiß, wen ich interviewen könnte, dann suche ich nach Experten im Internet. Ich suche auch gerne nach Instituten oder Unis, die sich mit einem Thema auseinandersetzen. Dort frage ich dann, ob sie mir jemanden empfehlen können, der oder die sich gut auskennt, vielleicht sogar jung ist, gut reden kann und unterhaltsam ist. Es gibt viele schlaue Leute, aber es gibt nicht unendlich viele Leute die gut und locker in einem Podcast reden können.

Wie bereitest Du dich auf deine Folgen vor?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt davon ab, wie gut ich mich schon zu einem Thema auskenne. Meist ist es so, dass sich der eine Job mit dem anderen ergänzt: Ich habe vor kurzem über ökologische Probleme der Weltmeere geschrieben und werde dazu auch bald eine Folge machen. Da brauch ich mich dann nicht mehr groß vorbereiten.

Ansonsten versuche ich mich einfach einzulesen. Zuerst lese ich immer den Wikipedia-Eintrag, das ist so eine Eigenart zu mir. Ich versuche zu schauen, was interessant ist und was ich daran noch nicht verstehe. Der Podcast ist nur ein Projekt von mehreren und deshalb dachte ich mir anfangs, ich brauche hier nur ein paar blöde Fragen stellen. Sehr bald habe ich aber gelernt, dass die Folgen eher schlecht werden, wenn ich selber keine Ahnung vom Thema habe. Die richtigen blöden Fragen sind gar nicht so einfach. Wenn ich erst während der Aufnahme das Thema verstehe, verliere ich mich eher. Deshalb muss ich mich vorab schon gut auskennen und viel dazu recherchieren.

Mittlerweile habe ich eine große Community und das ist extrem wertvoll für mich. Vor jeder Folge frage ich auf Instagram, WhatsApp, Twitter und Facebook, was die Leute noch wissen wollen. Hier kommt sehr viel, woran ich selber noch nicht gedacht habe.

Auffallend ist, dass du in der Vorbereitung deiner Beiträge nahe am Menschen bist. Du beziehst deine Hörer*innen mit ein, bekommst Vorschläge vorab zugeschickt. Auch dein Schreib- und Sprechstil wirkt sehr authentisch. Du hast so gut wie keinen Rhetorikunterricht genommen und hast ein abgeschlossenes Volkswirtschaftsstudium. Ist es deiner Meinung nach derzeit von Vorteil, nicht den klassischen Ausbildungsweg eines Journalisten zu gehen?

Ich finde, es kommt sehr darauf an, was man machen will. Es ist nicht notwendig, Journalismus studieren. Man kann da hineinwachsen, wenn man die Möglichkeit hat. Zwar kenne ich es nur von Wien, aber hier sind schon viele der Vortragenden auf der Uni und der FH Journalist*innen, man lernt viele Gleichgesinnte kennen und hier entstehen auch immer wieder tolle Projekte. Der klassische Weg ist also alles andere als schlecht; aber nicht unbedingt notwendig.

Wenn man nur für eine Sache Kapazitäten hat, finde ich es wertvoller, ein Fachstudium zu machen. Ich sage das aus meiner eigenen Erfahrung: Journalistische Kompetenzen kann man gut in der Praxis lernen. Ich habe ein paar Wochen lang jeweils am Wochenende Journalismusunterricht gehabt. Das waren ungefähr zehn Tage, an denen wir uns Reportagen und dergleichen gewidmet haben. Ansonsten habe ich nichts über Journalismus gelernt. Ich habe das von Anfang an probiert. Mittlerweile kann man mit YouTube, mit einer Website, einem Podcast oder Instagram-Channel ganz leicht selbst losstarten. Aber man kann eine wissenschaftliche Disziplin wie Recht, Politik oder Wirtschaft in solcher Tiefe nur in einem solchen Studium erlernen.

Wolltest Du schon immer in den Journalismus?

Tatsächlich ist das für mich so, seit ich 13 oder 14 gewesen bin. Ich bin in Steyr in die Handelsakademie gegangen, weil es dort einen Zweig für Journalismus gibt. Dort haben wir schon im Deutschunterricht Reportagen und Essays geschrieben. Das alles ist irgendwie untypisch, denn viele meiner Freunde und Bekannten wissen bis heute nicht, was sie beruflich machen wollen. Für mich hingegen hat es von Anfang an geklappt.

Wo ist für dich die perfekte Mischung aus klassisch ausgebildeten Journalist*innen und Quereinsteigern, also Menschen mit einem Fachstudium?

Sehr viele studieren Journalismus, aber dieser kann nur eine kleine Gruppe mit Jobs versorgen, und eine noch kleinere mit gut bezahlten Jobs. Wenn ich es noch einmal machen würde, dann wieder genau wie damals mit einem Fachstudium.

Allgemein glaube ich, die meisten Leute machen das nicht, weil sie so gerne für eine Zeitung schreiben wollen, sondern dahinter ist sehr oft eine Haltung. Man will sich sehr oft mit der Welt auseinandersetzen, etwas bewirken oder worauf aufmerksam machen.

Als ich studiert habe, war noch nicht klar, dass ich Journalist werde. Für meinen Job beim Standard war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich habe ein Praktikum gemacht und ein junger Kollege hat zeitgleich zufällig aufgehört. Seitdem bin ich beim Standard. Ich würde daher sagen, es ist eine gute Idee zu schauen, was man mit seinem Leben machen möchte und wie man beruflich wirken will. Man kann sich auf vielen verschiedenen Wegen mit der Welt auseinandersetzen. Wenn es im Journalismus passt, ist es super. Vielleicht kommt man aber im Laufe des Weges darauf, dass es auch viele andere Möglichkeiten gibt. Einige gehen in die Kommunikation oder in die Politik, auch ich habe mir das damals überlegt. Deshalb finde ich es gut, wenn man nicht zu verbohrt unterwegs ist.

Nicht ganz klar ist mir das Publizistikstudium. Viele Publizistikstudent*innen wollen Journalismus machen. Der Konnex ist mir nicht so verständlich. Zu meiner Zeit war die Finanzkrise präsent und ich dachte mir, man muss da doch was machen. Darum habe ich Wirtschaft studiert. Wenn ich nicht Journalist geworden wäre, würde ich nicht vor Nichts stehen, sondern ich könnte mit dem Studium auch viel Anderes machen.

Auf Twitter informierst Du regelmäßig im Vorhinein über neue Themen und Ideen. Damit gibst Du deinen Follower*innen aktiv die Möglichkeit, Fragen vorzuschlagen – manche davon stellst Du später deinen Gästen. Welche Vorteile und Herausforderungen bietet diese Form an interaktivem Journalismus?

Ganz viele Vorteile. Einerseits ist es natürlich Werbung. Bei ‚Erklär mir die Welt‘ war mir natürlich klar, dass ich mit ganz wenigen Hörer*innen starten würde. Mir wurde geraten, ich solle ständig darüber sprechen, was ich mache: also über mein Buch, den Podcast oder Artikel. Wenn du etwas im Journalismus werden möchtest, dann sprich darüber. Das habe ich von Anfang an gemacht. Viele haben dann gesagt, ich sei ein Egoschwein. Aber ich glaube, dass muss man im Journalismus sein. Die meisten sind es auch, ehrlicherweise.

Wenn hundertmal liest, es gibt eine Folge und hier wird etwas gemacht, vielleicht hört man dann einmal hinein. Das ist die Idee.

Die andere Idee ist, dass viele Journalist*innen – vor allem ältere – gelernt haben, aus der Vogelperspektive ganz objektiv und nüchtern auf Dinge zu blicken. Ich sehe das in der Realität sehr schwierig. Man ist immer ein Produkt seiner eigenen Erfahrungen. Wenn ich ein Interview mache, dann immer mit meinem eigenem Bias. Dieser vermischt sich mit dem Bias jener, die mir Fragen zu Dingen schicken, auf die ich so gar nicht gekommen werde. Aber das ist super so und sehr bereichernd.

Es auch noch einen anderen Aspekt. Bei ‚Erklär mir die Welt‘ war mir klar, dass das nur mit einer starken Community im Hintergrund funktioniert. Einer Community, die das auch verbreitet. Für Podcasts ist Mundpropaganda sehr wichtig. Ich habe mich da bemüht, Zusammenhalt zu schaffen. Das hat auch einen wirtschaftlichen Aspekt, denn Leute, die das Gefühl haben Teil eines Projekts zu sein, machen eher etwas dafür oder spenden. Spenden sind nun einmal ein Teil meines Gehalts und daher habe ich all das von Anfang an so konzipiert.

Nachteile fallen mir eigentlich kaum welche ein, außer, dass man immer wieder Leute enttäuschen muss. Ich bekomme zig Fragen, kann aber nicht alle stellen. Viele sind auch nicht so relevant. Ein ganz kleines Detail, dass nur wenige interessiert, passt nicht zur Idee des Podcast. Solche detailreichen Debatten findet man eh in der Zeitung.

Denkst Du, der Journalismus ist mittlerweile schon so interaktiv, wie er sein soll, oder sollte er noch interaktiver werden?

Ich glaube, er ist überhaupt noch nicht dort, wo er sein könnte. Es gibt einzelne Vorreiter wie zum Beispiel die Zeit, die das ganz großartig macht. In Dänemark gibt es ein eigenes journalistisches Projekt, dass sich großteils über Veranstaltungen finanziert und wo Journalismus interaktiv unter Einbindung der Leute auf einer Bühne vorgetragen wird. Mittlerweile – auch durch das Internet – gibt es so viele Ideen, wie man die Leute hereinholen kann.

Die Zeit hat beispielsweise einen Blog, der Glashaus heißt. Darin beschreiben sie, welche internen Debatten es über umstrittene Themen gibt. Der Standard hat das auch so gemacht, leider aber haben wir nicht so einen Blog. Es hat einmal tagelang eine hitzige Debatte darüber gegeben, ob man bei Asylwerber*innen hinzuschreiben soll, ob die aus Afghanistan, Syrien oder anderswo her sind. Diese Email-Debatte hat der Standard veröffentlicht und damit gezeigt, wie Journalismus bei uns funktioniert. Wir sind kein linkes Propaganda-Medium, dass die Leute von einem Standpunkt überzeugen möchte, sondern wir sind ein bunter Haufen interessierter Menschen, die sich darüber austauschen, wie man über ein Thema berichtet. Das finde ich super. Die Leute reinschauen zu lassen, ist für mich eine Form der Interaktion.

Martin Kotynek – der neue Chefredakteur vom Standard – hat, als er gekommen ist, mit Leser*innen öfter Abendessen veranstaltet. Dort hat er gefragt, was ihnen am Standard fehlt, was ihnen stört und was ihnen gut gefällt. Das ist aufwendig und kostspielig, aber wertvoll. Für ‚Erklär mir die Welt‘ habe ich mir das abgeschaut: Ich habe eine WhatsApp-Gruppe mit 15 Hörer*innen, die ich laufend um Feedback frag. Beispielsweise bastle ich gerade an einer Homepage für ‚Erklär mir die Welt‘. Es gibt dadurch so viele Möglichkeiten. Das wird immer mehr. Auch, weil junge Journalist*innen ein anderes Verständnis von ihrer Arbeit haben.

Ich zum Beispiel möchte mich nicht verstecken und irgendwo meine Texte schreiben. Ich möchte mit den Menschen arbeiten. Das ist für mich kein Journalismus. Ich glaube, es gibt immer mehr Leute, die so denken. Als Medium ist man auch auf die Leser*innen angewesen, da die Werbung immer mehr zu Google und Facebook abwandert. Darum wird sich das Interaktive noch weiter verstärken, da es auch ein wirtschaftlicher Anreiz ist.

Was läuft falsch im Journalismus und was machst Du richtig?

Viel spannender ist die Frage, was ich falsch mache!

Das ist die nächste Frage.

Also ich glaube, sehr viel läuft falsch. Es ist sehr einfach, Journalist*innen dafür zu verantwortlich zu machen und sie zu beschuldigen, dass sie ihre Arbeit nicht ordentlich machen und zu wenig recherchieren, Dinge verpassen und einen Bias haben. Aber dafür, wie die Strukturen etwa im österreichischen Journalismus sind, finde ich das Ergebnis sensationell gut. Ich lese etwa jede Woche den Falter, dann die Presse und den Standard. Damit fühle ich mich extrem gut informiert. Vorhin war ich eine Stunde im Kaffeehaus und habe die SZ gelesen. Das ist nochmal ein ganzer anderer Journalismus, aber die haben auch ein drei- oder fünfmal höheres Budget, mehr Leute und mehr Zeit. Da gibt es investigative Projekte, bei denen Leute nichts Anderes tun als monatelang zu recherchieren. Falls das nix wird, wird auch nix veröffentlicht.

In meiner Zeit als Journalist war das nie so, dass ein Text einfach weggeworfen wurde. Man hat immer irgendetwas daraus gemacht, weil die Zeitung zu füllen ist. Dafür, wie die Bedingungen sind, läuft es gut. Aber eines, das mir einfällt, ist das Förderwesen in Österreich. Das ist ganz schlecht für die Förderung und Innovation neuer Produkte. Dafür, wie das Internet unser aller Leben verändert hat, hat das Internet die Art und Weise des Journalismus kaum verändert. Es sind zwar alle Nachrichten digital aufrufbar, aber de facto wird vieles genauso wie vor 20 Jahren gemacht. Das geht total an den jungen Leuten vorbei. Sehr vieles richtet sich an ein älteres Publikum und das ist meiner Meinung nach ein großes Problem.

Der Journalismus ist auch viel zu wenig divers. Der Standard hat zum Beispiel eine Geschlechterquote auf der Führungsebene, das ist aber eher die Ausnahme. Chefredakteure sind in der Regel Männer. Aber nicht nur, was Gender betrifft, sondern auch hinsichtlich der Herkunft – egal, ob geographisch oder sozial. Ich selbst komme aus einer Familie, in der niemand studiert hat. Da ist man in so einem Milieu wie bei einer Qualitätszeitung in Österreich oft alleine und auch verloren. Ganz wenig Leute sind Söhne von Kebabmännern oder Fließbandarbeitern, und das ist nicht gut so.

Nicht nur in Österreich, sondern überall stört auch die Schnelllebigkeit des Journalismus. Ich bin ein durch und durch digitaler Mensch, aber ich lese keine Online-Nachrichten mehr, seit ich weiß, wie die gemacht werden. Das ist glaub ich so, als wie wenn man bei einem Wurstfabrikanten arbeiten. Dann isst man auch keine Frankfurter mehr.

Dieses ‚mehr, mehr, mehr‘ zu einem Thema; schnell fünf Artikel zu etwas, das aufregt, Podcast und so weiter, ist wenig zielführend. Ich warte lieber ein paar Tage ab. Wenn die Dinge relevant sind, kommen sie schon zu mir, etwa über einen Podcast, eine Wochenzeitung oder so. Oder es erzählt mir jemand davon. Dann recherchiere ich halt im Internet dazu.

Natürlich muss der Journalismus aktuell sein, aber er kann gerne entschleunigt werden und es sollte mehr Hintergrundjournalismus betrieben werden. Ich glaube, das sieht das Publikum ähnlich.

Und was machst Du richtig?

Ich glaube, wovon sich manche österreichische Journalist*innen etwas abschauen können, ist mein Ethos, mit dem ich an das Ganze herangehe. Ich bin sehr transparent in meiner Arbeit. Beim Standard schreibe ich immer dazu, warum ich einen Artikel über ein Thema geschrieben habe: Weil es mich persönlich interessiert, weil mich jemand darauf aufmerksam gemacht hat. Also, diesen Prozess offenzulegen. Ich lege auch offen, mit wem ich telefoniert habe und welche Studien ich gelesen habe. Ich lege offen, wer bei mir Werbung schaltet. Auf meiner Homepage kann man mein Einkommen nachlesen und welche Vorträge ich wo gehalten habe; wer mir Geld für Artikel gegeben hat.

Als Journalist hält man etwa einen Vortrag vor einer Bank und bekommt dafür ein paar Tausend Euro. Ein halbes Jahr später schreibt man dann einen Artikel über diese Bank. Das ist total problematisch. Weil ich mit dem Podcast selbstständig bin und immer wieder Werbung von großen Unternehmen oder Ministerien bekomme, finde ich wichtig, das auch offenzulegen. Ich denke, das ist etwas, dass ich gut mache.

Ich mache Journalismus nicht als blinder Beobachter, wie es etwa ein Richter machen sollte, sondern ich bin ein interessierter Mensch, der die Welt verstehen und gewisse Dinge verändern will.

Ich glaube auch, dass manchen nicht bewusst ist, dass diese Rolle des objektiven Journalisten aus der Vogelperspektive so nicht möglich ist. Man ist sich nicht bewusst, dass man mit dieser Welt auch interagiert und diese Welt einen prägt. Mir ist das sehr bewusst und deshalb erzähle ich im Podcast auch immer von meinen eigenen Zugängen und Erfahrungen. Ich mache Journalismus nicht als blinder Beobachter, wie es etwa ein Richter machen sollte, sondern ich bin ein interessierter Mensch, der die Welt verstehen und gewisse Dinge verändern will. Davor verstecke ich mich nicht. Ich schreibe auch vieles aus der Ich-Perspektive. Wer meine Texte liest, weiß etwa, dass es mir nicht wurscht ist, ob man etwas gegen den Klimawandel tut oder nicht. Gleiches gilt für das Artensterben, Armut oder Menschenrechte. Das ist mir alles nicht wurscht.

Ich finde, hier kann man sich als Journalist oder Journalistin auch trauen, offen dafür zu stehen und dafür auch einzutreten. Trotzdem muss man natürlich versuchen, differenziert und nüchtern darüber zu schreiben – aber man kann seine Beweggründe natürlich offenlegen.

Was machst Du als Journalist falsch, oder anders gefragt: Wo bist Du noch nicht dort, wo Du gerne wärst?

Es fällt mir oft schwer, mein eigenes Weltbild zurückzuhalten und mich ganz nüchtern mit einer Frage zu beschäftigen. Ein Beispiel ist die ‚Degrowth‘-Bewegung. Ich habe Ökonomie studiert und hier irgendwie einen ganz anderen Zugang zur Welt. Wenn ich Dinge lese, die meinem Weltbild widersprechen, merke ich immer wieder, wie so ein Rad läuft und ich nach Gründen suche, wieso das Geschriebene falsch sein könnte. Warum es nicht der Wahrheit entspricht und warum mein Zugang eh gut ist.

Aber das ist ganz normal, so funktioniert unser Hirn. Wir sind evolutionär nicht dazu gemacht, möglichst objektive Betrachter der Realität zu sein. Seitdem ich ein paar Bücher darüber gelesen habe, versuche ich das zu reflektieren. Ich glaube, als Journalist ist das total wichtig. Mir fällt das aber total schwer und darin möchte ich noch viel besser werden. Ich möchte mich mit einem Thema unabhängiger von meinem Weltbild aus beschäftigen.

Sehr oft – das ist auch zutiefst menschlich – hat man aufgrund seiner Lebensgeschichte bestimmte Muster. Manche Leute wollen gefallen, wollen von allen gemocht werden. Andere Leute schlagen die gegenteilige Linie ein, wollen immer nur provozieren. All das sind lauter persönliche, psychologische Mechanismen, die einen total in seiner Arbeit beeinflussen. Wenn man mit einem Pressesprecher einer Ministerin spricht, wie leicht lässt man sich hier um den Finger wickeln? Das wird sehr stark unterbewusst vorbestimmt. Ich finde das total spannend darüber zu reflektieren: Was für ein Mensch ist man eigentlich? Warum bin ich so geworden wie ich bin und wie beeinflusst mich das? Ob man will oder nicht, es beeinflusst einen total. Auch hier bin ich noch lange nicht dort, wo ich gerne wäre.

Wem man auf Social Media folgst, was man teilst und was man dort likest, bestimmt, welche Meldungen und Beiträge einem gezeigt werden. Würdest Du sagen, dass dein Feed divers ist?

Nein (lacht). Ich habe mir schon öfter angeschaut, wie viel Prozent Frauen ich folge. Es waren total wenig. Dann habe ich auf Twitter hunderten Männern entfolgt. Aber es sind trotzdem etwa 70 Prozent Männer. Ich glaube, das ist ein Problem. Für mich ist Twitter einer der wichtigsten Orte, um mich zu informieren, zu recherchieren und um Debatten zu verfolgen. Ich erlaube mir hier den Luxus – das sagt sich als weißer Mann einfacher – dass meine oberste Priorität nicht ist, auf Diversität zu schauen. Ich schaue eher, wer die Leute sind, die die Debatten vorantreiben und wer interessant ist. Ich glaube, in der Ökonomie haben 90 Prozent der Professorentitel Männer inne. Ich könnte dann bewusst mehr von den Frauen folgen, aber ich möchte mich mit meinem Twitter-Feed nicht meinen eigenen Bias bekämpfen, sondern ich möchte damit Infos für meine Recherchen bekommen. Deshalb ist mein Feed sicher nicht divers, aber ich kann damit leben.

Betreust Du all deine Social-Media-Kanäle selbst?

Ja.

Vorhin hast Du von Haltung gesprochen. Ist es wichtig, sich bewusst mit den Meinungen von Menschen mit einer anderen Haltung zu beschäftigen? Derzeit wird viel über das neue Buch ‚The New Climate War‘ des amerikanischen Klimatologen Michael E. Mann gesprochen. Darin schreibt er etwa über ‚Doomer‘ und ‚Denier‘, die eine andere Einstellung dem Klimawandel gegenüber haben als es die Wissenschaft vorgibt. Ist es wichtig, solchen Menschen zu folgen und sich mit deren Meinung zu beschäftigen?

Das kommt darauf an. Es gibt Leute, die ganz bewusst einen Diskurs pflegen, mit dem sie Debatten ins Abstruse führen und wo es nur darum geht, abzulenken und zu nerven. Solche Meinungen sind toxisch und das brauche ich nicht. Es ist sinnvoller, das zu ignorieren.

Mir fällt im Diskurs zum Klimajournalismus auf, dass ganz viele relativ links stehen und sich deshalb sehr schnell sehr einig darüber sind, wie man das Problem lösen könnte. Das ist natürlich nicht falsch, aber gerade für die Klimakrise gibt es so viele verschiedene Zugänge und Lösungen in den verschiedensten Sektoren.

Ansonsten versuche ich aber ganz bewusst Leuten zu folgen, die beispielsweise konservative Ökonomen sind. Mir fällt im Diskurs zum Klimajournalismus auf, dass ganz viele relativ links stehen und sich deshalb sehr schnell sehr einig darüber sind, wie man das Problem lösen könnte. Das ist natürlich nicht falsch, aber gerade für die Klimakrise gibt es so viele verschiedene Zugänge und Lösungen in den verschiedensten Sektoren. Wenn sich die Leute zu einig sind, werde ich sehr schnell skeptisch.

Ich habe damals ‚The Righteous Mind‘ von Jonathan Haidt gelesen. Darin geht es darum, warum wir gewisse politische Einstellungen entwickeln und wie das unseren eigenen Nachdenkprozess beeinflusst. Eines seiner Plädoyers war, dass es dich viel klüger macht, wenn du mit Leuten sprichst, die nicht deiner Meinung sind. Wenn man beispielsweise vielen Klima-Leuten auf Twitter folgt, könnte man schnell glauben, der Kapitalismus muss weg. Spricht dann mit anderen Leuten darüber – gerade mit konservativen Ökonomen – die es auch ernst mit dem Klima meinen, merkt man, dass es auch im Kapitalismus möglich ist. Meine Meinung ist, man kann das im Kapitalismus lösen. Darum finde ich es spannend, Leuten zu folgen, die hier anderer Meinung sind. Man wird dadurch intelligenter und differenzierter.

Ich komme vom Land und ich finde es super, mit Leuten zu debattieren, die die Mehrheitsmeinung vertreten, dass sie sich das Schnitzel nicht verbieten lassen. Die Realität ist nämlich so, dass die meisten Menschen nicht ständig Zeitung lesen und sich politisch beschäftigen, sondern die wollen einfach ihr Leben leben. Als Journalist ist es für mich relevant aufzuzeigen, wie Leute denken und wie ein Framing sein kann, damit meine Texte nicht sofort weggeschoben werden; ihnen es nicht zu einfach zu machen, dass sie das tun, was ich auch oft mache: Eine andere Meinung zu lesen und die sofort in den Mistkübel zu werfen. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, wie die Leute ticken. Dadurch überdenke ich auch meinen Zugang zu Fleisch. Vielleicht ist doch nicht jeder, der ein Schnitzel ist, ein Tierquäler und stürzt die Menschheit ins Verderben. Mit einem anderen Zugang kann man viel ändern. Nicht nur im Journalismus oder in der Politik, sondern generell in der Gesellschaft.

Wenn man sich zu Geschehnissen in Europa und im Ausland informieren möchte, welche Medien kannst Du hier empfehlen?

Die Süddeutsche Zeitung hat einen unglaublich guten Auslandsteil. Deren Printausgabe finde ich einfach super. Auch die Presse am Sonntag, die ich am Wochenende immer lese, schenkt vielen lateinamerikanischen und asiatischen Themen viel Raum. Für Afrika gibt es einen Newsletter, der heißt ‚This Week in Afrika‘. Das ist einfach nur eine elendig lange Link-Sammlung mit neuen Nachrichten, Reportagen, Studien und so weiter. Total super, wenn man sich für Afrika interessiert, denn mit den österreichischen Medien ist das nicht so einfach. Ansonsten ist die New York Times natürlich die Institution. Die ist auch saubillig, sie kostet ungefähr vier bis fünf Euro im Monat.

Ich finde es schon mühsam, nur dem österreichischen Geschehen zu folgen. Wenn es dann auch noch ums Ausland geht, ist das de facto unmöglich. Ich bekomme von der US-Regierung unter Biden auch nur mit, was sie in den Bereichen ändern, die mich interessieren: Umwelt und Klima und ein wenig Sozialpolitik. Aber auch über den Rest den Überblick zu behalten, finde ich extrem schwer. Deshalb finde ich es oft interessant, zwei oder drei Jahre später ein Buch darüber zu lesen.

Wenn man sich viel mit Umwelt beschäftigt, dann sind Brasilien und Indonesien mit den großen Regenwäldern oft etwas, was außenpolitisch total interessant wäre. Mir gelingt es aber überhaupt nicht, darüber up-to-date zu bleiben. Deshalb ist ein Buch dazu oder ein längerer Podcast oft charmanter.

Bleibt es bei dir bei dem einen Buch, oder ist schon mehr geplant?

Es bleibt sicher nicht bei dem einen. Ich habe das letzte und ich schreibe auch das nächste Buch in erster Linie für mich, um Gedanken zu ordnen. Ich möchte ein Buch dazu schreiben, wie unsere Wirtschaft gestaltet werden kann, damit der Planet auch für unsere Enkelkinder noch bewohnbar und lebenswert bleibt. Dazu recherchiere ich bereits, aber ich warte mit dem Schreiben so lange, bis ich das Gefühl habe, auf die Frage eine Antwort zu haben.

Wir bedanken uns bei Andreas Sator für das Gespräch.

Lukas Bayer
Lukas hat in Salzburg den Bachelor Philosophie, Politik und Ökonomie abgeschlossen. Seit Ende 2020 studiert er Global Studies an der KF Graz und beschäftigt sich vor allem mit ökonomischen und umweltspezifischen Themen, sowie mit Fragen sozialer Gerechtigkeit.

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