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Mitte September gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union bekannt, die Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 um 55 Prozent (im Vergleich zu 1990) reduzieren zu wollen. Das bisherige Ziel lag bei 40 Prozent. Europa solle der erste klimaneutrale Kontinent werden, gestärkt aus der Pandemie hervorgehen und einen grünen Investitionsschub erfahren – so in etwa lassen sich die Worte der ersten Frau an der Spitze der Kommission zusammenfassen.[1]

Österreich steht dem Vorhaben positiv gegenüber, man will Klimaschutzvorreiter sein. In einer Presseaussendung begrüßen Vizekanzler Kogler und Klimaschutzministerin Gewessler das „mutige, aber wichtige Ziel“. Nun muss darüber im EU-Parlament und im Rat verhandelt werden. Österreich möchte zumindest eine 55-prozentige Reduktion fixieren, so Gewessler.[2]

Einigen sich die Akteure auf das Ziel, so wird es bis Ende des Jahres als Nationally Determined Contribution (NDC) unter den Pariser Klimazielen der Rahmenkonvention der Vereinten Nationen zum Klimawandel (UNFCCC) übermittelt. NDCs sind nicht völkerrechtlich bindend, allerdings verpflichten sich Vertragsparteien dazu, Maßnahmen zu deren Umsetzung zu setzen. Aufgrund der beinahe universellen Mitgliedschaft ist der Druck groß, den NDCs Folge zu leisten. Bis Juni 2021 will die EU Gesetzesvorschläge hierzu präsentieren; im Raum steht eine Verschärfung der CO2-Normen für Straßenfahrzeuge, Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbare Energie und Landnutzung, eine gerechtere Lastenverteilung sowie die Überarbeitung und Ausweitung des europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS).

Eine 2014 veröffentlichte Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zeigte nicht nur eine spürbare Reduktion der Emissionen, sondern auch, dass es für die untersuchten Unternehmen keinerlei negative Auswirkungen gab.

Der europäische Emissionshandel ist ein wesentliches Element zur Reduktion der Treibhausgase. Eine 2014 veröffentlichte Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zeigte nicht nur eine spürbare Reduktion der Emissionen, sondern auch, dass es für die untersuchten Unternehmen keinerlei negative Auswirkungen gab.[3] Kritisiert wird hingegen immer wieder die Effizienz des Systems, und das trotz mehrerer Überarbeitungen. Die Finanzkrise 2008 etwa führte zu einem Überschuss an Zertifikaten, der wiederum auf den Preis drückte. Der niedrige Marktpreis machte Emissionen hingegen attraktiver – es gab keinen Anreiz mehr, CO2-freundlich zu wirtschaften. Als Reaktion darauf wurde unter anderem die Marktstabilitätsreserve – eine Art Wurmloch für ungenützte Zertifikate – eingeführt. Außerdem regelt eine Obergrenze die maximale Anzahl an verfügbaren Zertifikaten und reduziert diese jährlich um rund zwei Prozent. Aller Maßnahmen zum Trotz muss man wohl davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie ähnliche Auswirkungen haben wird. Als Zyniker müsste man an dieser Stelle fragen, ob ein System, das die Klimakrise abwenden soll, alles andere als krisenfest ist? Jedenfalls ist das EU ETS als weltweit erster und größter Kohlenstoffmarkt die größte Hoffnung auf dem Weg zu einer globalen Lösung.[4]

Derzeit deckt das EU ETS aber gerade einmal 45 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen ab. Es gibt zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher, etwa im Luftverkehr: Europas größte Fluglinie Ryanair flutete vor kurzem den Markt mit einer Millionen 5€-Tickets.[5] Aufgrund der wirtschaftlichen Not lässt sich diese Aktion durchaus rechtfertigen, Kostenwahrheit sieht jedoch anders aus. Möglich sind Preisoffensiven wie diese aufgrund des Chicagoer Abkommens von 1944. Man einigte sich damals, die Luftfahrt zu subventionieren, um die freundschaftsbewusste Globalisierung voranzutreiben.

Nun plant die EU zwar, auch die kohlenstoffintensiven Sektoren Gebäude und Verkehr in das Emissionshandelssystem einzugliedern[6], konkrete (Zeit-)Pläne fehlen allerdings. Die Richtung stimmt, aber die Zeit drängt. Kalifornien kämpft zurzeit gegen die Flammen. Die Frage ist, wann wird unser Haus brennen?

Dr. Gabriele Spilker – Professorin an der Universität Salzburg – steht dem Klimaziel der Kommission eher skeptisch gegenüber. Eine Emissionsreduktion um 55 Prozent würde bedeuten, dass wir unseren Lebensstil drastisch ändern müssten. Aus der politikwissenschaftlichen Forschung weiß man jedoch, dass jene Interessen am stärksten betroffen sind, die auch am besten organisiert sind – Stichwort Lobbying. Außerdem fürchtet man sich in der EU davor, dass Unternehmen ins Ausland abwandern könnten, wenn man den CO2-Gürtel zu eng schnallt. Die Sorge um Carbon Leakage teilt auch die Bundesregierung, weshalb ÖVP, SPÖ und FPÖ nach wie vor gegen eine nationale CO2-Abgabe sind. Ideal wäre eine globale Lösung. Carbon Leakage wäre dann schlicht nicht möglich und gleichzeitig könnte man dadurch die Klimakrise in den Griff bekommen. Davon sind wir aber weit entfernt. Eine Ebene darunter versucht die EU mit dem geplanten Grenzsteuerausgleich ihr Bestes. Dieser soll Wettbewerbsnachteile verhindern, indem man Importe auf Basis deren CO2-Abdruck besteuert. Hier wird die Herausforderung sein, den Wert eines importierten Gutes möglichst genau abzubilden. Eine weitere Herausforderung besteht darin, keine Klimawende-Verlierer zu produzieren. Ohne einen sozialen Ausgleichsmechanismus wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden. Die Kritik, Klimaschutz sei für jene, die es sich leisten können, ist durchaus gerechtfertigt. Antworten darauf gäbe es allerdings zur Genüge.

Österreich will jedenfalls Klimaschutzvorreiter sein. Mit der Ökosozialen Steuerreform wurde ein zweistufiger Plan ins Leben gerufen, um bis 2040 CO2-neutral zu werden. Die erste Stufe beinhaltet steuerlich-ökologische Maßnahmen wie die Ökologisierung der Normverbrauchsabgabe, eine Flugticketabgabe von 12€ pro Flugticket, Maßnahmen gegen den Tanktourismus und eine Ökologisierung der Pendlerpauschale. In einem weiteren Schritt könnte 2022 eine Art CO2-Abgabe folgen.[7] Derzeit beschäftigt sich eine sechsköpfige Taskforce damit, der auch Klimaschutzministerin Gewessler angehört. Diese meinte in einem Talk mit PolEdu, es werde steuerliche Maßnahmen geben, wie auch immer diese dann aussehen werden. Am wichtigsten sei, dass der Zweck erfüllt wird: CO2 bekommt einen Preis und damit wird das Steuersystem zu einem Hebel im Klimaschutz.[8]

Ökologisierungsmaßnahmen sind schön und gut, aber ohne große Reformen wird man in wenigen Jahrzehnten nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem sozial und humanitär ausgebrannt sein.

Österreich muss jedenfalls Taten folgen lassen, um den eigenen Maßstäben gerecht zu werden. Ende 2019 lag man im Klimaschutz-Index von Germanwatch lediglich auf Platz 38 von 57 untersuchten Staaten. Noch hinter Indien und China.[9] Ökologisierungsmaßnahmen sind schön und gut, aber ohne große Reformen wird man in wenigen Jahrzehnten nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem sozial und humanitär ausgebrannt sein. Die jungen AktivistInnen von Fridays for Future sind sich dessen bewusst. „Fight Every Crisis“ hieß es beim sechsten globalen Klimastreik Ende September.[10] Welchen Beitrag wird Österreich im Kampf gegen die Klimakrise leisten?

 


 

[1]https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_1599

[2]https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200916_OTS0043/vizekanzler-kogler-undklimaschutzministerin-gewessler-begruessen-ambitioniertes-klimaziel-der-eu-kommission

[3]https://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/IfW-Publications/Sebastian_Petrick/the-impact-of-carbon-trading-on-industry-evidence-from-german-manufacturing-firms/KWP_1912.pdf

[4]https://ec.europa.eu/clima/policies/ets_de

[5]https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/dara-brady-ryanair-greift-die-konkurrenz-mit-fuenf-euro-kampfpreisen-an/26147984.html?ticket=ST-2281396-nrGvsMVxzLEn1sbv1dX1-ap1

[6]https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/attachment/866233/EU-Klimazielplan%20f%C3%BCr%202030%20wichtige%20Beitr%C3%A4ge%20und%20politische%20Instrumente%20.pdf.pdf

[7]https://www.dieneuevolkspartei.at/Download/Regierungsprogramm_2020.pdf

[8]https://www.youtube.com/watch?v=oGGecf0Cde4

[9]https://germanwatch.org/en/CCPI

[10]https://fridaysforfuture.at/events/weltweiter-klimastreik

Lukas Bayer
Lukas hat in Salzburg den Bachelor Philosophie, Politik und Ökonomie abgeschlossen. Seit Ende 2020 studiert er Global Studies an der KF Graz und beschäftigt sich vor allem mit ökonomischen und umweltspezifischen Themen, sowie mit Fragen sozialer Gerechtigkeit.

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