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Der Föderalismus hat eine lange Tradition in Österreich – und das obwohl Österreich die klassischen Voraussetzungen für ein föderales Land nicht erfüllt. Nichtsdestotrotz ist der Föderalismus ein unzertrennbarer Teil der österreichischen Staatlichkeit und hat sich in Österreich mittlerweile eingelebt.

Auch wenn das Thema Föderalismus nicht direkt im unmittelbaren medialen und gesellschaftlichen Fokus liegt, so betrifft es dennoch viele Politikfelder, die dadurch beeinflusst werden. Konkret das zum Föderalismus dazugehörige Zweikammersystem steht immer wieder im Fokus von politischen Debatten – genauer gesagt geht es um die zweite Kammer. Die Sinnhaftigkeit und die Funktion des Bundesrates ist ein immer wieder kehrendes Thema. Die zweite Kammer gehört nämlich zum festen Bestandteil der seit 1920 bestehenden Bundesstaatlichkeit in Österreich und soll – zumindest in der Theorie – die Länderinteressen vertreten. Kritisiert wird vor allem, dass der Bundesrat faktisch machtlos ist und statt Länderinteressen oft Parteiinteressen im Vordergrund stehen. Die Frage einer möglichen Reform des Bundesrates steht in direkter und starker Verbindung zur Debatte um Föderalismusreformen.

Die Stärken und Schwächen föderaler Mechanismen

Werfen wir aber einen Blick auf den Einfluss der Bundesstaatlichkeit auf die politische Landschaft, so lässt sich sagen, dass der Föderalismus sowohl eine Palette an Vor- aber auch Nachteilen für die staatlichen Mechanismen mit sich bringt.

Dem Föderalismus wird vor allem aufgrund der Wettbewerbsfunktion, die zwischen den einzelnen Bundesländern entsteht, eine große Effizienz nachgesprochen.

Eines der wichtigsten Vorteile lässt sich aufgrund von multiethnischen, multilingualen, religiös heterogenen Gesellschaften veranschaulichen. Die Stärke des Föderalismus liegt in der Integration heterogener Gesellschaften bzw. Bewahrung der Vielfalt. Daraus leitet sich auch der Minderheitenschutz ab und die angepasste Politik für die einzelnen Teilstaaten ab. Dem Föderalismus wird vor allem aufgrund der Wettbewerbsfunktion, die zwischen den einzelnen Bundesländern entsteht, eine große Effizienz nachgesprochen – sie sei effizienter als Einheitsstaaten. Ein weiterer dem Föderalismus zugeschriebener Faktor bezüglich der Effizienz ist wie zuvor schon erwähnt die Machtverteilung – die Macht konzentriert sich nicht mehr im Zentrum, sondern sie teilt sich auf. Aufgrund der Regionalisierung der Politik wird ebenso die Partizipation bei den Bürgern weitgehend erhöht, da sich die Bürger auf mehreren Ebenen am politischen Prozess beteiligen können.

Den Vorteilen stehen die Schwächen/Nachteile des Föderalismus gegenüber. Eine Gruppe von (teil)autonomer Teilstaaten führt zu einer Interessensheterogenität, was wiederum die Entscheidungsfindung massiv erschwert. Es ist viel schwieriger Kompromisse zu finden, da es verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Standpunkten gibt. Das System ist blockadenanfälliger und was den Zeitfaktor betrifft weniger flexibel. Neben der Interessensheterogenität kommt zusätzlich die Unübersichtlichkeit des Systems dazu – im Falle von Österreich bedeuten neun verschiedene Bundesländer neun (teils) verschiedene Systeme. Weiters ist die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung weniger ausgeprägt – bzw. die Verantwortung kann anders wie in einem Einheitsstaat (wobei da noch andere Faktoren wie etwa Wahl- und Regierungssystem eine Rolle spielen) nicht klar zugeordnet werden.

Das Erbe der Habsburgermonarchie und der Ersten Republik: Eine geschichtliche Perspektive

Während Länder wie etwa die Schweiz oder Russland klassische Beispiele für den Föderalismus sind, ist die Diskussion um den Föderalismus in Österreich viel interessanter. Denn Österreich ist weder groß, noch multiethnisch oder multilingual – in anderen Worten: Österreich besteht aus einer weitgehend homogenen Gesellschaft.

Der Hintergrund des Föderalismus in Österreich ist eher historisch begründet. Die Wurzeln liegen dabei bereits in der zentralisierten Monarchie, in der es bereits 1867 zu einer wichtigen Reform kam – nämlich der Umwandlung des Österreichischen Kaiserreiches in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

Der entscheidende Schritt was den österreichischen Föderalismus betrifft, fand hingegen erst nach dem Zerfall der Monarchie. Die Föderalismus-Frage gehörte zu den Kernthemen der Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten. Im Vordergrund standen dabei aber eher die machtpolitischen Interessen der Parteien. Die in den ländlichen Regionen starke Christlich-Soziale Partei sprach sich für den Föderalismus aus, während die mehr in den Städten (allen voran Wien) verankerten Sozialdemokraten sich dagegen aussprachen. Dieser Konflikt führte 1920 zum Bundes-Verfassungsgesetz, welches de jure den Interessen der Christlich-Sozialen entsprach, de facto hingegen eine sehr schwache Form des Föderalismus implementierte.

Die Debatte über Reformen der Staatsstruktur hat in Österreich eine lange Tradition. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kam es vermehrt zu Forderungen nach mehr Rechten für die Länder und tatsächlich kam es vereinzelt zu einigen Änderungen (1974) – wobei einerseits die Länder in einzelnen Fragen gestärkt wurden, andererseits aber auch eingeschränkt. Erst später kam es dazu, dass die Länder ihre Ressourcen (Verfassungsautonomie) erkannten und diese einsetzten, um Landesverfassungsreformen durchzusetzen.

Die Debatte über Reformen der Staatsstruktur hat in Österreich eine lange Tradition.

Federation without federalism: Die formal schwachen und die informell starken Institutionen

Die Ausprägung des Föderalismus in Österreich ist grundsätzlich als schwach zu bezeichnen. Österreich ist eine „federation without federalism“. Ein Indikator für die Schwäche des österreichischen Föderalismus ist die Bedeutungslosigkeit der Zweiten Kammer. Der Bundesrat, der theoretisch die Länderinteressen vertreten sollte, vertritt diese zum einen nicht und zum anderen fehlt es dieser Institution an Instrumenten. Die Zweite Kammer hat in Österreich nämlich faktisch keine Macht – sie verfügt lediglich über ein suspensives (aufschiebendes) Veto und kann von der Ersten Kammer überstimmt werden (außer bei Themen, die den Föderalismus oder Bundesrat betreffen).

Der formal schwache Föderalismus weist dennoch gewisse Eigenheiten auf: Dem formal schwachen Föderalismus stehen die sogenannten Key-Player entgegen. Die Key-Player des Föderalismus in Österreich sind die Landeshauptleute. Dabei ist weniger die verfassungsrechtliche Kompetenz der Landeshauptleute wichtig, sondern die Stellung als „Landesfürsten“ bzw. „Staatsoberhaupt“.

Ähnlich wie in anderen Staaten gibt es auch in Österreich eine Landesgesetzgebung mit dem dazugehörigen Landtag. Formal gibt es zwar Landesparlamente (Landtage), die auch Landesgesetze verabschieden, dennoch ist ihre Macht begrenzt und sie spielen in der Politik eine untergeordnete Rolle. Auch die Zweite Kammer (Bundesrat), welche die Interessen der Länder vertritt und sich aus den Landtagen bildet, hat de facto keinen Einfluss.

Viele wichtige Entscheidungen werden oftmals nicht über formale Wege geklärt, sondern im Vorfeld über eine Landeshauptleutekonferenz.

Interessant für die Föderalismusforschung ist Österreich vor allem deswegen, weil es trotz des formal schwachen Föderalismus dennoch starke informelle Institutionen hat. Die sogenannten Key-Player des österreichischen Föderalismus sind die vorher genannten Landeshauptleute. Dabei sind sie nicht nur für die jeweilige Landespolitik wichtig, sondern spielen auch eine gewichtige Rolle in der nationalen Politik. Obwohl es keine formal breiten Machtbefugnisse für die Landeshauptleute gibt, sind sie ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Entscheidungsfindung bei wichtigen Fragen. Das lässt sich allen voran durch sogenannte informell institutionalisierte Landeshauptleutekonferenzen erklären. Viele wichtige Entscheidungen werden oftmals nicht über formale Wege geklärt, sondern im Vorfeld über eine Landeshauptleutekonferenz. Sie haben unter anderem deswegen ein bedeutendes politisches Gewicht, da sie innerhalb der Partei eine (mit)führende Rolle haben.

Die ohnehin schon vergleichsweise schwache Bundesstaatlichkeit wird zunehmend durch die dritte Ebene, und zwar die der EU, weiter geschwächt. Die Landesebene erscheint in diesem Kontext unwichtig, da es zu einer Machtverschiebung zugunsten der EU gekommen ist. Die Entscheidungen werden eher auf der EU- und Staatsebene getroffen, die Länder sind nur für die Umsetzung zuständig.

Die Reform des Bundesrates: Verfassungsrechtliche Hürden und machtpolitische Interessen

Mögliche Föderalismusreformen sind nicht nur aus machtpolitischer und historischer Sicht schwierig, sondern allen voran auch aufgrund der Verfassung. Das sogenannte bundesstaatliche bzw. föderale Prinzip gehört neben dem republikanischen, demokratischen, rechtsstaatlichen, liberalen und gewaltenteilenden Prinzip zu den Grundprinzipien der Republik Österreich.

Bei Verfassungsänderungen wird zwischen Teiländerungen und Gesamtänderungen unterschieden. Im Falle einer Teiländerung ist bei einer Anwesenheit von der Hälfte der Abgeordneten Zweidrittelmehrheit der Stimmen notwendig, um ein Verfassungsgesetz zu beschließen. Bei Gesamtänderungen kommt zusätzlich noch eine Volksabstimmung dazu. Um eine Gesamtänderung handelt es sich dann, wenn eines der Grundprinzipien betroffen ist. Das erscheint aus politischer Perspektive de facto unmöglich.

Sowohl der Bundesrat, als auch der Nationalrat verfügen in den Fragen, die den Bundesrat betreffen, genug Macht, um sich gegenseitig zu blockieren.

Der zweite und letzte Aspekt betrifft machtpolitische Interessen: Als wesentlicher Faktor für das Scheitern von Reforminitiativen kann grundsätzlich der Machtkampf zwischen einzelnen Akteuren, konkret Nationalrat, Bundesrat und bedingt LH-Konferenz bezeichnet werden. Sowohl der Bundesrat, als auch der Nationalrat verfügen in den Fragen, die den Bundesrat betreffen, genug Macht, um sich gegenseitig zu blockieren. Schaut man sich den Nationalrat an, lässt sich zusätzlich sagen, dass dieser größer und heterogener ist, während der Bundesrat bis auf wenige Ausnahmen entschlossener auftritt. Ähnliches lässt sich auch über die LH-Konferenz sagen, welche zwar informell ist, dennoch gewichtig – auch hier handeln einzelne Landeshauptleute unabhängig von Parteimitgliedschaft im eigenen Interesse. Die Funktion der LH-Konferenz in diesem gesamten Machtgefüge und Reformdebatte ist schwer zu erkennen und bedarf im Rahmen neuer Arbeiten genauerer Überprüfung. Es lässt sich aber prinzipiell festhalten, dass die LH-Konferenz prinzipiell gegen die Abschaffung des Bundesrates ist, aber auch keine „eigenständige“ und zu mächtige Zweite Kammer will.

Aus den hervorgehenden Argumenten lassen sich zwei Schlussfolgerungen herleiten: Eine Abschaffung des Föderalismus in Österreich ist vor allem aus historischen, machtpolitischen Gründen, allen voran aber wegen der breiten Unterstützung der Bevölkerung nicht möglich. Die Stärkung des Föderalismus, darunter auch die fiskalische Dezentralisierung, Verwaltungsreformen, Stärkung der Zweiten Kammer wären mögliche Reformvorschläge. Allerdings ist aus aktuellem Standpunkt davon auszugehen, dass der Status Quo die Rahmenbedingungen der österreichischen Politik aufgrund der faktischen Unumsetzbarkeit der Reformen auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten begleiten wird.

Foto: © Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Konstantin Ghazaryan
Neben seiner Mitwirkung an der Interviewführung und -ausarbeitung, verfasst der Political Science MA-Absolvent vor allem Analysen und Kommentare für die Bereiche der internationalen und europäischen Politik. Die Bereiche Sicherheitspolitik, Allianzen und Diplomatie gehören zu seinen Schwerpunkten.

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