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Frau Heinisch-Hosek, Sie sind seit 20 Jahren im Nationalrat, davon knapp zehn Jahre als Ministerin. Seit 2009 sind Sie Bundesfrauenvorsitzende der SPÖ und seit 2017 Vorsitzende des Gleichbehandlungsausschusses. Welcher Moment ist Ihnen aus all diesen Jahren am besten in Erinnerung?

Spontan fallen mir da die Verhandlungen mit den Sozialpartnerpräsidenten, mit der Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer ÖGB, Industriellenvereinigung und Landwirtschaftskammer zu den Einkommensberichten ein. Wir als Politikerinnen haben versucht, die Lohnschere zu schließen. Die Wirtschaft ist hier aber sehr skeptisch. Jedenfalls kam es nach elendslangen Verhandlungen doch zu einer Einigung, ein Gesetz zu verpflichtenden Einkommensberichten zu machen.

Ein zweites Beispiel: Ich bin sehr stolz darauf, dass es gelungen ist, mit dem damaligen Justizminister Brandstätter den Tatbestand der sexuellen Belästigung zu erweitern. Das waren ganz unangenehme Diskussionen zum sogenannten ‚Po-grapsch‘-Paragraphen. Wir wollten einfach, dass unerwünschte Berührungen strafrechtlich geahndet werden können. Bis dato war das nur mit Verwaltungsstrafen belegt. Die Verhandlungen waren schwierig, sind aber gelungen.

Drittens die Verhandlungen zur eingetragenen Partnerschaft. Jetzt haben wir eh die Ehe für alle, das hat uns der Verfassungsgerichtshof als Urteil sozusagen mitgegeben. Aber damals wurde die Möglichkeit für homosexuelle Paare sich zu verpartnern gegen viel Widerstand der ÖVP durchgesetzt.

Das waren drei wirkliche Highlights meiner Tätigkeit als Ministerin. Ich bin seit 1990 in Funktionen, auch in der Kommunalpolitik, und seit 1999/2000 in Bundesfunktionen. Mitgestalten zu können, wie sich die Lebenssituation von Frauen verbessert – darauf bin ich stolz.

Wie schätzen Sie die Situation derzeit ein?

Momentan bin ich aber gar nicht stolz darauf, was rundherum passiert. Nicht nur wegen der Pandemie, das hat schon davor begonnen. Frauenfragen und Frauenrechte sind wieder sehr ins Private verschoben worden. Man versucht dies als Eigenverantwortung der Familie zu diskutieren. Ich denke aber, es braucht immer einen Schub der Politik. Von selber wird sich die Gesellschaft nicht geschlechtergerecht verändern.

Andere Länder, die schon früher damit begonnen haben, haben das besser geschafft. Ich bewundere Jacinda Ardern Neuseeland[1], wo gerade einstimmig ein Gesetz verabschiedet wurde, bei dem Arbeitsbewertung eine Rolle spielt. Was ist welche Arbeit wert und wie kann man unterschiedliche Tätigkeiten miteinander vergleichen? Bis jetzt hat man gesagt, die Arbeit an der Maschine sei viel schwieriger als die Arbeit am Menschen. Und letzteres machen zumeist die Frauen.

Also sind Sie der Meinung, es sollte von der Politik eine Linie geben, damit das auch umgesetzt werden kann? Welche Maßnahmen würden Sie hierzu empfehlen?

Wir brauchen auch sozialpolitisch Maßnahmen der Politik, damit Menschen nicht durchs soziale Netz fallen. Gleichermaßen sehe ich das auch in Genderfragen. Es ist nicht selbstverständlich – in einem traditionellen Land wie Österreich, in dem sich viele Männer nach dem Patriachat richten, braucht es eine aktive, progressive Frauenpolitik. Natürlich gemeinsam mit männlichen Kollegen. Alleine können wir das nicht durchsetzen.Die Situation von Frauen muss durch Gesetze verbessert werden. Auf Freiwilligkeit gebe ich schon lange nichts mehr.

Wer oder was hat Sie dazu bewogen, in die Politik zu gehen?

Eigentlich ein Mann, das ist mehr als dreißig Jahre her: Der damalige Bürgermeister in meiner Heimatgemeinde hat mich dazu motiviert, als Gemeinderätin zu kandidieren. So konnte ich hineinschnuppern und habe von da aus meinen Weg bestritten – von der Gemeinde in den Bezirk ins Land in den Bund. Jede neue Funktion hat mir ziemlich Spaß gemacht.

Rückblickend kann man sagen, ich habe alle Ebenen kennengelernt und weiß, wie es realpolitisch funktioniert. Sicher kein Nachteil. Frauenvorbilder hat es natürlich immer gegeben, wobei ich in keinem feministisch orientierten Elternhaus aufgewachsen bin, sondern sehr traditionell. Das ist erst später gewachsen.

Sie haben erwähnt, dass Sie der damalige Bürgermeister Ihrer Gemeinde dazu bewogen hat, in die Politik zu gehen. Waren Sie davor schon aktivistisch unterwegs?

Ja, aber nicht frauenpolitisch. Ich bin seit meiner frühen Jugend in einer großen Familienorganisation ehrenamtlich tätig gewesen, nämlich bei den Niederösterreichischen Kinderfreunden. Danach war ich bei den österreichischen Kinderfreunden zwei Jahre lang Bildungsverantwortliche. Ich war hier auch Betreuerin und dann Heimleiterin in Betreuungscamps für Kinder und Jugendliche. Das hat mich sehr sozialisiert und hat das Lernen von Partnerschaftlichkeit bei mir forciert.

Das Frauenpolitische ist bei meinen späteren Tätigkeiten gekommen; zu erkennen, dass ein fauler, dummer Witz gegen Frauen Sexismus pur ist. Das war mir eine Zeit lang nicht so bewusst, wie es sein sollte. Eine meiner großen Mentorinnen in der Politik war Barbara Prammer, die mir auch zugetraut hat, Frauensprecherin im Parlament zu sein. So hat sich mein Weg nach den Kinderfreunden formiert.

Mittlerweile sind Sie wie gesagt jahrelang in der Politik. Wie hat sich die Politik aus Ihrer Sicht verändert und was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser?

Prinzipiell stelle ich fest, dass sich die Sprache in der Politik sehr verändert hat. Ich habe schon respektvollere und positivere Zeiten erlebt. Die Manieren im Parlament lassen ziemlich nach. Das Niveau ist teilweise sehr tief. Zudem werden die demokratischen Instrumente von der aktuellen Regierung nicht so genutzt, wie ich mir das wünsche. Ich habe das Gefühl, dass das Parlament als gesetzgebende Körperschaft des Öfteren übergangen wird, indem wir bei Gesetzesvorlagen keine Möglichkeit haben diese zu begutachten. Andreas Kohl sagte schon seinerzeit „speed kills“, und dieses Gefühl habe ich jetzt sehr stark wieder.

Auch durch die Sozialen Medien entstehen neue Themen, wie etwa Hass im Netz. Die Kommunikation hat sich dadurch massiv verändert, leider auch zum Negativen. Für die Zukunft würde ich mir eine Art Repolitisierung wünschen. Die Rückkehr zur analogen Diskussionen. Es ist in den heutigen Tagen extrem schwierig, jemanden überhaupt dazu zu motivieren politisch tätig zu werden. Alle müssen auf sich schauen, da nehme ich gar nicht die Pandemie her. In der Existenzsicherung ist es für manche Leute sehr eng geworden.

Ich habe das Gefühl, Politik ist teilweise so unattraktiv. Man sollte genau das reanimieren. Das Gespräch und die Diskussion suchen. Hier muss man wieder motivieren und unterschiedliche Programme unterschiedlicher Parteien anbieten. Es ist alles verkürzt, wie begeistere ich zum Beispiel Frauen, die mit beiden Ohren im Zeitmanagement und in Vereinbarkeitsfragen stecken? Vielleicht auch in Geldnöten durch Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit. Wie kann ich die noch für meine Ideale motivieren?

Wir probieren das auch in der Frauenpolitik, etwa durch den Österreichischen Frauenring. Das sind über 45 Frauenorganisationen vereint unter einem Dach. Ich glaube, das kann man auch im Kleinen machen. Wiewohl ich sowieso glaube, dass Politik in einer bottom-up Bewegung viel besser die top-down Erklärungen miteinschließt. Wenn ich unten nicht motivieren kann, wie soll ich von oben etwas anordnen? Das funktioniert jetzt mit Krankheiten gut, wie wir sehen, aber das ist kein Dauerzustand. Die Meinung der Leute ist total wichtig.

Wir sprechen für Frauen, aber wir haben momentan keine Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen. Die haben viele Sorgen und keine Zeit für diese Gespräche. Trotzdem sind dann alle sehr dankbar, dass man sich die Zeit dafür nimmt, wenn wir alle zusammenkommen. Das klingt jetzt wie ein Widerspruch, aber ich denke, ein Schritt zurück in der Kommunikation täte nicht schlecht. Schritte zurück in der Gleichberechtigung sind jedoch ganz schlecht. Aber die passieren gerade: Backlash-Tendenzen. Dieses ‚neoliberale Verantwortung-Schüren‘ ist so, dass jemanden beschämen und Scham erzeugen leider sehr groß wird. Was, du schaffst das nicht? Du schaffst das schon. Ist doch keine Schande, wenn du… Das bleibt ganz oft an den Frauen hängen.

Man muss die Eigenverantwortung gesetzlich begleiten. Wir sind nicht Schweden, Finnland, Neuseeland oder Island etwa, mit dem Lohntransparenzgesetz, das Unternehmen bestraft, wenn sie nicht gleich bezahlen. Obwohl wir bei uns eine gute Sozialpartnerschaft haben, ist es nicht möglich, dass man hier Gesetze macht, bei denen die Gleichbezahlung vorgeschrieben ist.

Ein großes Problem ist auch, dass viele Frauen nicht an Frauenpolitik interessiert sind. Außerdem geben viele Frauen nicht zu, dass sie nicht gleichberechtigt werden. Wie kann man das ändern? Denken Sie, dass man das Thema öfter aufgreifen sollte, um auch Frauen zu erreichen, die damit weniger zu tun haben wollen?

Auf jeden Fall. Es kommt darauf an, wo jemand lebt. In den ländlichen Regionen reden sich Frauen ihr Leben oft schön und merken gar nicht, dass sie in der Teilzeitfalle hängengeblieben sind. „Ich will ja etwas von meinen Kindern haben“, habe ich nicht nur einmal gehört, als ich die Bundesländer besucht habe. „Wieso soll ich ganztags arbeiten gehen? Es geht sich eh gut bei uns aus.“ Sie merken nicht, dass sie im Status Quo hängegeblieben sind.

Auf der anderen Seite hört man, dass Frauen in ländlichen Bereichen oft vor der Schranke stehen, dass es keinen Vollzeitarbeitsplatz oder ganztägigen Schulplatz gibt. Vom Kindergarten rede ich gar nicht, dass ist in jedem Bundesland anders. Wäre die Möglichkeit da, glaube ich, würden das viele Frauen in Anspruch nehmen. Deshalb ist der Equal-Pay-Day in Wien erst im November und in Vorarlberg schon im September. Also es klafft eine ziemliche Lücke, welche Art von Arbeit und Kinderbetreuung Frauen wo haben, und wie sich dadurch ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verändern.

Aber wenn man dann aufs Pensionskonto schaut – darauf kann man Einsicht nehmen – sieht man, dass das fatal ist. Man kann dann zwar sagen, er soll ihr von seiner Pension die Hälfte geben und wir automatisieren das per Gesetz – aber das ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Pensionssplitting vermeidet nicht die Altersarmut. Frauen müssen ihr Berufsleben lang die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln, auch in Teilzeit.

Wichtig sind auch Role-Models. Etwa Mädchen, die eine untypische Lehre machen oder Frauen, die Karriere gemacht haben. Man braucht sich am Land nicht als Rabenmutter fühlen, wenn man das Kind schon mit einem Jahr in eine Krippe gibt, weil man einen Beruf ergreifen möchte. Aber wenn es nicht mehr Vorbilder gibt, wird sich nichts ändern. Daran muss die Politik arbeiten. Frauen empowern, ermutigen, aufzuklären, zu ihnen zu gehen, die Rahmenbedingungen schaffen. Es braucht einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Den gibt es in manchen anderen Ländern, nicht aber in Österreich. Ich glaube schon, dass Gesetze helfen können, dass Frauen aufstehen. Etwa das Gewaltschutzkonzept – 1997 als Folge der Weltfrauenkonferenz verabschiedet – wodurch das Private plötzlich politisch wurde. Nämlich, was im Ehebett oder zwischen zwei Eheleuten oder Partnern passiert; dass das jetzt geahndet werden kann. Da waren wir Vorbild. Es hat nicht nur den Frauen geholfen, sondern auch der Polizei, die dadurch bessere Mittel hatte.

Diese Schutzmaßnahmen haben Frauen dazu bewogen, dass sie sich bei Gewalt gewehrt haben. Ich glaube, im Arbeitsleben wäre es dasselbe, damit die Einkommensunterschiede kleiner werden. Wenn hier bessere Gesetze vorhanden wären, würden sich Frauen schon durchsetzen. Aber sie brauchen auch Vorbilder, das stimmt. Der neoliberale Glaube, dass die das schon machen und mehr Gehalt bekommen, wenn sie nur besser verhandeln würden, ist im Bereich der Märchen anzusiedeln. Wenn Frauen nicht wissen, was sie bekommen könnten, wie sollen sie dann verhandeln?

Seit 2017 sind Sie Vorsitzende des Gleichbehandlungsausschusses. Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Den hätte ich gerne ein bisschen dichter. Ich muss hier um Termine kämpfen. Von der Regierungsseite bekomme ich sehr oft Absagen auf Terminvorschläge. Ich würde gerne viel öfter einen Ausschuss einladen. Nur herrscht natürliche Einstimmigkeitsprinzip – das ist eine Usance.

Um ein Beispiel zu nennen: Beim Frauenvolksbegehren hatten wir zweimal ein Hearing über die neuen Punkte des Volksbegehrens. Ich wollte dann schnell einen Gleichbehandlungsausschuss, um zu schauen, ob man im Parlament irgendetwas davon umsetzen kann. Das war natürlich nicht erwünscht. Bis zur Wahl 2019 habe ich keinen Ausschusstermin bekommen. Du kannst ein Volksbegehren aber nicht von einer Legislaturperiode in die nächste mitbringen. Natürlich werden wir die Inhalte wieder anbringen, aber an und für sich sind solche Dinge dann erledigt und das war offensichtlich die Absicht.

Wie bereits erwähnt, engagieren Sie sich schon jahrelang innerhalb der SPÖ. Wie hat sich Ihr Zugang zur Politik in den letzten Jahren verändert? Was würden Sie rückblickend in gewissen Situationen anders machen?

Ich war immer und bin auch heute noch eine sehr pragmatische und realpolitische Politikerin. Mit Provokation und Aktionismus – was aber nicht mein Ding ist – hätte ich vielleicht manchmal mehr Aufmerksamkeit erregt. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mehr durchgesetzt hätte. Im Nachhinein hätte ich sicher mehr provozieren können. Trotzdem ist die Millimeterarbeit zu etwas gut gewesen, weil dadurch Gesetzesvorschläge entstanden sind. In der Partei zum Beispiel eine Quotenregel – die war ganz mühsam. Sie garantiert uns, dass wir jetzt auch im Nationalrat und in den Landtagen mehr Frauen haben. In den Gemeinderäten sind wir leider noch nicht so gut, weil unser Parteigesetz, sprich unser Statut, nur bis auf die Ebene von Landtagen geht. Darunter entscheiden die Gremien selber. Daher gibt es immer nur Bürgermeister – manchmal auch Bürgermeisterinnen – die sich ihre Listen nicht nach dem Reißverschluss oder nach Geschlechtergerechtigkeit anschauen. Aber das war der größte Erfolg in der Partei selber: Das von Johanna Dohnal damals installierte 25-prozentige Statut – also 25 Prozent Frauen – in den 80er Jahren, dann 40 Prozent und jetzt 50 Prozent. Wir konnten es so festlegen, dass wir schon bei der Erstellung der Liste wissen, dass die Frauen auch wirklich ins Mandat kommen. Denn von der Liste her habe ich gleich einmal einen Reißverschluss, dann kommt es aber durch das D`Hondtsche System oder durch irgendwelche Reststimmen so zustande, dass Frauen zwar auf einer Liste stehen, aber nicht drankommen. Mittlerweile ist das sichergestellt, das war eine Gemeinschaftsarbeit. Mehr Frauen in der Politik heißt weniger Männer. Aber es heißt auch, dass man anders und mit mehr Gewicht gestalten kann. Ansonsten bin ich eine vorsichtige Politikerin, die auch kleine Erfolge feiert und keine Jeanne d’Arc, die in den Krieg reitet.

Laut einer aktuellen OECD-Studie zählen Frauen zu jener Bevölkerungsgruppe, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Anfang Juli sagten Sie dazu, dass man Frauen am Arbeitsmarkt mehr stärken solle und zwar sofort. Wie geht es den Frauen aktuell am österreichischen Arbeitsmarkt?

Also diese 85 Prozent von an Arbeitslosigkeit betroffenen Frauen sind viel zu hoch. Geringfügig hat es sich wieder verändert, aber es ist enorm, wie viele Frauen ihre Arbeit verloren haben. Die Kurzarbeitsmodelle haben auch mehr Männer als Frauen in Anspruch genommen, weil das vor allem in der Industrie und in größeren Betrieben genutzt wurde. Auf der anderen Seite wissen wir noch nicht, wie sich die psychischen Auswirkungen der Pandemie auf Frauen zeigen werden. Mir machen vor allem atypisch beschäftigte Frauen große Sorgen. Die letzten Änderungen waren so: Nur, wenn du mehrere atypische oder geringfügige Beschäftigungen hast, kannst du aus dem Corona-Härtefallfond auch etwas bekommen. Wenn eine Frau nur eine geringfügige Beschäftigung hat, fällt sie nicht darunter. Über 200.000 Frauen haben ein Ein-Personen-Unternehmen. Viele mussten schon zusperren. Wie ist die soziale Absicherung von selbständigen Frauen? Wie sieht es mit einem Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeiten aus?

Ich habe gerade letztens einen Termin mit der österreichischen Plattform für Alleinerziehende gehabt, die natürlich sagen, dass es verheerend ist, wie Frauen mit ihren Kindern übrigbleiben, wenn niemand da ist. Wie soll sich das mit der Arbeit ausgehen? Das Schönreden von Home-Office ist für manche gut, aber andere haben nie Home-Office machen können. Zum Beispiel Frauen im Handel. Die müssen jeden Tag in die Arbeit. Du hast eine Woche im Jahr Pflegeurlaub und auf goodwill des Arbeitgebers die Sonderbetreuungszeit, wenn der Kindergarten oder die Schule die Kinder heimschickt. Aber wenn der Arbeitgeber dagegen ist, hast du keinen Anspruch darauf. Das heißt, der Arbeitsplatzverlust ist für Frauen noch einmal viel relevanter als für Männer, weil sich in der Coronakrise ja auch gezeigt hat, dass alles rundherum von Frauen davor zu zwei Drittel und jetzt wahrscheinlich zu vier Fünftel erledigt wird. Hausarbeit, Waschen, Kochen. Die Verantwortung wird durch Corona verstärkt abgeschoben.

Die SPÖ hat kurz nach der Zeit des Lockdowns mit der 4-Tage-Woche ein Beschäftigungspaket präsentiert, welches in etwa 350.000 neue Arbeitsplätze schaffen sollte. Was kann man sich darunter vorstellen?

So wie wir das Paket präsentieren und verstehen, ist es eine staatlich geförderte verkürzte Vollzeit oder Arbeitszeitverkürzung auf 30 bis 32 Stunden. Man verkürzt quasi die Zeit um ein Drittel, arbeitet nur mehr 80 Prozent. Die übrigen zwanzig Prozent werden zu je einem Drittel vom Arbeitsmarktservice, vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer selber finanziert. Also verzichtet der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf circa 5,6 Prozent Lohn. Wir glauben, dass dadurch die Produktivität steigt. Das wissen wir auch von teilzeitarbeitenden Frauen. Diese haben einen sehr hohen Produktivitätsfaktor. Durch diesen Faktor hätten die Unternehmen das nicht nur bald wieder eingefahren, sondern auch die Möglichkeit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Durch die staatliche Förderung ist es nicht zum Schaden der Unternehmen, wenn man dann mehr Leute anstellt. Das haben wir ausgerechnet: Eine Produktivitätssteigerung zwischen acht und vierzehn Prozent. Bei acht Prozent Steigerung hast du diese Mehrkosten bald drinnen. Dann kann man auch neue Leute anstellen. Daher glauben wir, dass sich mit oder ohne Corona die Arbeit neu verteilen muss. Manche Arbeitsarten und -plätze fallen weg. Das wäre eine neue Möglichkeit, hier auch mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben ja auch „Koste es, was es wolle“ gehört.

Bezüglich der Erhöhung des Arbeitslosengeldes hört man oft den Vorwurf, dass jene, die diese Gelder beziehen, weniger motiviert sind sich eine neue Arbeit zu suchen. Wie kann man dem entgegenwirken?

Ein Wohlstand bei 70 Prozent des Letztbezuges ist noch lange kein Wohlstand. Ich glaube, die Sicherungssysteme in jeder Hinsicht zu überdenken, ist entscheidend für das Überleben. Die „Sozialhilfe Neu“ ist ja ein Sicherungssystem, das die Situation gegenüber der Mindestsicherung in manchen Bundesländern sogar verschlechtert. Manche machen hier eine knallharte Deckelung – Familien mit mehreren Kindern werden je nach Kind benachteiligt. Bei drei Kindern ist das dritte Kind gerade einmal fünf Euro pro Monat wert.

Du musst als arbeitsloser Mensch dem Arbeitsmarkt sowieso zur Verfügung stehen. Du musst die Angebote annehmen, sonst rutscht du in die „Sozialhilfe Neu“. Hier ist man wirklich unterm Existenzminimum. Die Armutskonferenz definiert die Armutsgrenze höher als es die „Sozialhilfe Neu“ tut. Es haben Experimente mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in Skandinavien gezeigt, dass viele dieser Menschen trotzdem arbeiten gegangen sind und sich nicht ausruhten. Die paar Prozent, die das ausnützen, leben auch nicht im Wohnstand und die verkraftet ein Sozialstaat allemal. Im Gegenzug dazu schlittern viele in die Armut, wenn es bei dieser geringen Nettoersatzrate bleibt.

Frauen haben in der Coronazeit einen Großteil der Kinderbetreuung übernehmen müssen, als Kindergärten und Schulen geschlossen waren. Es kam zu keiner gerechten Aufteilung im Haushalt, Frauen leisten im Schnitt 2,5 Stunden unbezahlte Arbeit pro Tag mehr als Männer. Denken Sie, dass wir noch immer in einem veralteten Rollenbild stecken?

Österreich ist super traditionell. Das manifestiert sich gerade wieder in die Richtung, dass Frauen alles schaffen sollen und die Frauen lassen sich das dann auch einreden. Ich glaube, dass das Patriachat, die katholische Kirche, die Männerseilschaften hier gerade sehr viel Einfluss haben. Wenn ich im Umfeld des Kanzlers Menschen orte, die bei Opus Dei sind – das steht in Büchern, das erfinde ich nicht – dann sind das ultrakonservative Muster, die hier vorherrschen. Wenn der Kanzler sagt, „Es ist eh keine Schande, wenn du es nicht schaffst, liebe Frau. Gib dein Kind einfach in eine Betreuung“, heißt das umgekehrt, die Frau hat das zu schaffen und somit manifestiert das alte Rollenbilder. Durch Corona wird das verstärkt. Auch durch nicht-Frauenpolitik der nicht-feministischen Frauenministerin Raab. Ich finde, sie kümmert sich um uns Frauen zu wenig. Ich freue mich zwar, dass sie zwei Millionen Euro mehr Budget hat, aber das deckt gerade einmal die Mehrausgaben der Fraueneinrichtungen. Das haben uns diese selbst rückgemeldet, denn die mussten ja auch ihre Gehälter und anderes anpassen. Damit kann man keine großen Sprünge machen. Ich glaube, dass jetzt während dieser Krise die Frauenberatungsstellen aufgrund der psychischen Belastung sehr gefordert sein werden. Aber die haben trotzdem nicht viel mehr Geld zur Verfügung. Für mich passiert da gerade keine Frauenpolitik, wenn Frauenpolitikerinnen nicht progressiver herangehen. Dadurch manifestieren sich unhinterfragt veraltete Rollenbilder. Momentan passiert das ganz sicher.

In einigen unserer letzten Gespräche haben wir mit Frauen über ihren Zugang zur Politik gesprochen. Der Frauenanteil im Nationalrat liegt derzeit bei etwa 40 Prozent. Der Nationalrat sollte aber einen Querschnitt der Bevölkerung und deren Interessen abbilden. Ist diese Zahl also problematisch und wünschen Sie sich eine geregelte Quote?

Ich wünsche mir eine gesetzliche Quote. Einzelne Parteien haben sich Vorgaben gemacht, wir haben das als Partei mit 19 Frauen und 21 Männern fast geschafft. Andere reißen den Schnitt wieder nach unten, etwa die FPÖ. Wenn wir eine gesetzliche Quote hätten, könnten wir die Bevölkerung abbilden. Die Regierung – das ist anerkennenswert – hat mehr Frauen als je zuvor. Aber die Frauenpolitik bleibt für mich trotzdem auf der Strecke. Das gewährleistet noch nicht, dass auch wirklich für Frauen viel weitergeht.

Was würden Sie jungen Frauen mitgeben, die sich politisch engagieren möchten?

Sucht euch eine ältere, erfahrene Mentorin und/oder Freundin. Lernen von Erfahreneren ist immer gut. Ich traue mich die Phrase fast nicht zu dreschen, aber seid mutig und geht voran! Ich glaube, dass junge Frauen aber ganz anders sozialisiert sind als noch mein Jahrgang etwa. Wir waren nicht so selbstbewusst und sehr dankbar für alles, weil noch nicht so viel erreicht war. Die Generation, der Sie angehören, in der ist schon so viel selbstverständlich, dass man fast übersieht, was schon alles erkämpft wurde. Trotzdem schadet es nicht, sich beim Beschreiten neuer Wege Rat zu holen. Dazu würde ich raten.

Ich habe lange nicht gewusst, wie mein Weg sein wird und sein soll. Heutzutage wissen das junge Menschen vielleicht genauer – vor allem politisch. Beruflich ist das eine andere Sache. Aber wenn man in die Politik gehen will, ist es immer gut, sich Verbündete zu suchen. Alleine ist es auch heute in dieser männerorientierten Gesellschaft noch nicht so leicht. Ansonsten muss man sich einfach auch durchsetzen.

Wir bedanken uns bei Gabriele Heinisch-Hosek für das Gespräch.


[1] Premierministerin Neuseelands seit 2017

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